Bin ich eine gute Mutter?
Ein Brief an mich selbst

„Schreibe einen Brief an dein früheres frischgebackenes Mama-Ich!“ fordert Jenny Machold von moms4moms ihre Leserinnen auf. Ich lese das, denke „Klar! Bin ja seit fast 14 Jahren Mama, da wird mir schon was einfallen.“ Und dann sitze ich da, denke nach, beginne, alte Fotos anzuschauen. Und plötzlich fühle ich unerwartete Gefühle: Ich fühle großes Mitgefühl für diese junge Mama, die ich war. 

Als ich zu schreiben beginne, wird der Brief an mich selbst emotionaler als ich erwartet habe. Tatsächlich fällt es mir jetzt ein bisschen schwer, diesen Text zu veröffentlichen. Ich mache es trotzdem, denn ich weiß: Mir hätte dieser Text damals sehr geholfen.

Danke Jenny, dass du mich mit der Frage zu deiner Blogparade angestupst hast, nochmal meinem früheren Mama-Ich zu begegnen. 

Ein Brief an mich selbst

Liebe 29jährige Wiebke,

eben habe ich ein 14 Jahre altes Foto entdeckt: Du liegst in einem Krankenhausbett, neben dir deine kleine neugeborene Tochter. Seit 24 Stunden bist du Mama. Das Bild rührt mich. Es verrät mir, wie geschockt du noch immer von der Geburt bist, die völlig anders verlaufen ist, als du es dir vorgestellt hattest. Ich kann mich noch so gut an das hilflose Gefühl von damals erinnern, an die Frage: Wie um Himmels Willen schaffe ich es, eine gute Mutter zu sein – wenn doch die Geburt und die erste Nacht schon so eine Katastrophe waren.

Seit 24 Stunden bin ich Mama!

Bin ich eine gute Mama?

In der Schwangerschaft hast du gar nicht groß darüber nachgedacht. Dir war irgendwie klar, dass du natürlich einen prima Mamajob machen wirst: Liebevoll und zugewandt, mit klaren Regeln und viel Spaß. Als Logopädin hattest du schon viele Mütter erlebt und ein genaues Bild davon, was „eine gute Mutter“ ist.
Nun bist du seit einem Tag Mama. Seit einem Tag und vor allem seit einer Nacht. In der Geburtstagsnacht hast du nicht geschlafen. Und in der darauf folgenden Nacht auch nicht. Dein Baby war wach, unruhig, das Stillen klappte nicht. Dein Baby hat geweint. Du auch. Dir ist plötzlich klar: Ich hab hier keinen „Mamajob“, sondern ich bin Mutter! Das ist jetzt mein Leben!

Das Foto ist nach der zweiten durchwachten Nach. Du fühlst dich furchtbar. Und zum ersten Mal hast du Schuldgefühle als Mama. Du denkst: „Ich kann nicht mal mein Baby stillen und wickeln. Ich lieg hier im Bett, mir geht es schlecht und ich weiß nicht, wie ich mich um mein Baby kümmern kann.“

So gerne würde ich dich umarmen. Danach würde ich deine kleine Tochter auf den Arm nehmen und dir sagen: „Schlaf erstmal! Bald werdet Ihr Zwei ein tolles Team sein.“

Mache ich etwas falsch?

In den nächsten Wochen versuchst du, dich an den neuen Babyalltag zu gewöhnen. Eigentlich haben du und der Papa erwartet, dass euer Kind nachts im Stubenwagen schläft. Machen das nicht alle Babys? Der Stubenwagen ist noch aus der Kindheit vom Papa. Damals haben alle Babys gut geschlafen, oder? Dein Baby nicht. Es will auf dem Arm sein. Immer! 

Die Frage: „Mache ich etwas falsch?“ taucht immer wieder in deinen Gedanken und Gefühlen auf. Deine Freundinnen haben noch keine Kinder. Und die Babys aus dem Rückbildungskurs scheinen ganz friedlich beim Papa zu bleiben. Damals gab es noch kein Smartphone, in dem du während des Stillens auf bedürfnisorientierte Elterngruppen und kompetente Mama-Coaches hättest treffen können. Du fühlst dich einsam. 

So gerne würde ich dir sagen: „Du bist nicht allein mit deinen Gedanken! So vielen anderen Mamas geht es mit ihrem ersten Kind ganz genauso. Dein Baby ist nicht falsch und du bist es auch nicht. Findet euren gemeinsamen Weg!“

Tatsächlich findest du deinen Weg als Mama in diesem ersten Jahr. Dir helfen andere Mütter aus der Krabbelgruppe. Dir hilft die Sammlung an Ratgeberbüchern, die du über das Verhalten von Babys, übers Stillen und Tragen liest. Und dir hilft deine kleine Tochter, mit der du dich unglaublich verbunden fühlst. Ihr werdet zum eingespielten Team. Und irgendwann kannst du dir ein zweites Kind vorstellen.

Muss ich eine perfekte Mama sein?

Zwei Jahre später kommt dein kleiner Sohn auf die Welt. Der Anfang mit zweitem Kind ist ganz anders für dich: Es ist ein warmes Frühjahr, ihr seid viel draußen, schaukelt gemeinsam in der Hängematte und du fühlst dich angekommen als Mama. Ich weiß noch heute, dass du einmal den Gedanken hattest: „Vielleicht ist dies die glücklichste Zeit meines Lebens.“

Müde und glücklich: Ich mit zwei Kleinkindern

Knapp zwei Jahre später zieht ihr um. Im Sommer merkst du, dass es dir nicht gut geht: Große Unruhe, Fieber, Gewichtsverlust. Der Hausarzt stellt eine subakute Schilddrüsenentzündung fest. In den nächsten Monaten geht es dir schlecht: Du bist unendlich müde und erschöpft. Die Geduld für deine Kinder ist schneller zu Ende als der Tag.

So gerne würde ich dir sagen: „Deine Kinder brauchen eine Mutter, die sich auch um sich selbst kümmert. Du brauchst keine perfekte Mama zu sein.“ 

Nachdem die Schilddrüsenmedikamente gut eingestellt sind, geht es dir besser. Ein paar Jahre und einen weiteren Umzug später erwartet ihr als Familie das dritte Kind.

Ich sorge auch für mich

Dir geht es gut und du freust dich sehr darauf, ein weiteres Kind kennenzulernen. Du denkst von dir, eine erfahrene Mama zu sein, die weiß, was sie in den nächsten Jahren erwarten wird.
Aber es kommt anders. Denn es kommt Corona. Zwei Schulkinder und ein Kleinkind sind zu Hause und brauchen dich quasi ständig, nicht nur als Mama, sondern auch als Spielfreundin und Lehrerin.

Wie gerne würde ich dir sagen: „Du machst das so gut du kannst! Achte auf dich!“ Diese Erkenntnis kommt aber erst, als du zu erschöpft bist, um noch „perfekt“ sein zu können (was auch immer das ist). Liebe Wiebke, ich gratuliere dir zu der Entscheidung, dir Hilfe zu holen: Beratung, Mama-Coaching, Begegnung mit anderen Eltern, die ebenso erschöpft sind. Alles online, denn schließlich ist Lockdown. Ich freue mich so sehr, dass du beginnst, Fragen zu stellen: Was will ich? Was brauche ich? Was fühle ich? Und ich bin stolz auf dich, dass du diese Fragen nicht als egoistisch abtust, sondern beginnst, dich wirklich mit dir selbst zu beschäftigen und dich um dich selbst zu kümmern. “Ich bin es wert, für mich zu sorgen!“ Diesen Satz erarbeitest du dir in einem Coaching.

Dieser Satz begleitet mich schon das ganze Jahr 2022. Und nun begegnen wir uns im Jetzt: Du und ich. Einiges hat sich in mir und in unserer Familie schon verändert. Ich halte nicht mehr so sehr an starren Regeln fest sondern achte darauf, was wir als Familie brauchen, was zuviel ist und wie wir Kompromisse finden, damit es möglichst allen gut geht – auch mir selbst.

Ich bin immer noch auf dem Weg. Das Gefühl, immer alles richtig machen zu müssen, ist oft noch da. Die Schuldgefühle, vielleicht keine gute Mutter zu sein, kommen immer wieder. Was ich aber wirklich gelernt habe: Ich kann milder auf mich blicken. Ich kann mich selbst in den Arm nehmen und mir sagen: „Es ist okay. Du musst nicht alles schaffen.“

Und diese Worte sind auch heilsam für dich als mein früheres Mama-Ich, das sich so sehr angestrengt. Liebe 29jährige Wiebke, ich schicke dir diese Worte in die Vergangenheit und hoffe, dass sie auch Mütter erreichen, die sie jetzt gerade brauchen.

Deine Wiebke

4 Kommentare zu „Bin ich eine gute Mutter?“

  1. Herzlichen Dank für diese ehrlichen Gedanken zu deinem Weg als Mama. ♡ Wie du schreibst, wir sind alle „auf dem Weg“ und versuchen eine gute Balance für die Bedürfnisse aller Familienmitglieder zu erlangen. Herausfordernd, tag für tag und so lohnenswert.

  2. Du Liebe,
    ich bin sehr berührt von deinen Worten. 💛 Und finde mich in vielen deiner Gedanken auf deiner Reise wieder.
    Und es freut mich so sehr, dass wir uns auf unsrer Reise begegnet sind und das Coaching bei mir so ein wertvoller Abschnitt für dich wahr.
    Herzliche Grüße, Judith

    1. Liebe Judith, ja, dein Coaching hat wirklich eine besondere Rolle gespielt in dem, wie ich mich jetzt als Mama fühle. Noch immer bist du mir da durch deine authentischen Blogartikel und Socialmedia-Storys ein Wegweiser. Vielen Dank für deine Coaching-Arbeit!! Liebe Grüße von Wiebke

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Ich bin Wiebke Schomaker. Als Logopädin und Expertin für Sprachförderung habe ich den Elternblog "Starke Sprache" gegründet. Bei mir erfährst du, wie du dein Kind in seiner Sprachentwicklung begleiten und spielerisch unterstützen kannst.
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