Wie ich wurde, was ich bin: Mein Weg zur Logopädin

Als Vierjährige war mir klar: „Ich werde Logopädin! Denn dann kann ich den ganzen Tag spielen und malen!“ Meine Logopädin, bei der ich als Kind gewesen war, hatte anscheinend einen guten Job gemacht… Als Jugendliche verlor ich meinen Traumberuf aus den Augen, bis er mir dann 8600 km von zu Hause wieder begegnete und meine Begeisterung neu geweckt wurde. Nach einer Phase großer Erschöpfung entdeckte ich dann meinen Beruf noch einmal neu und anders.

Aber ich beginne mal von vorn:

Als ich 4 oder 5 Jahre alt bin, sagt meine Tante zu meiner Mutter: „Wiebke lispelt ja. Sie braucht bestimmt Logopädie!“ Danke, Tante Beta! Denn ich erinnere mich noch sehr gut an die Begeisterung, mit der ich zur logopädischen Therapie gehe. Und ich erinnere mich, dass ich auch unbedingt Logopädin werden will.

1986: Ich weiß genau, was ich werden will.

2. Grundschulzeit: Ich kann alles werden, oder?

Diesen Berufswunsch verliere ich allerdings wieder aus den Augen. In die Poesiealben, meiner Mitschülerinnen schreibe ich unter „Berufswunsch“: Hirnforscherin, Künstlerin, Schriftstellerin und Bibliothekarin. Ich bin mir sicher, dass ich alles gleichzeitig werden kann. Warum auch nicht?

3. Pubertät Teil 1: Bloß nicht auffallen!

Dieses Selbstvertrauen ändert sich. „Du warst ziemlich schüchtern!“ erzählen mir Menschen, die mich damals kannten. Ja, auffallen und meine Meinung lautstark vertreten war als Jugendliche echt nicht mein Ding. Deshalb jobbte ich in der Bäckerei im Dorf auch hinten in der Backstube, während Schulfreundinnen vorne am Tresen bedienten. Mein Berufswunsch inzwischen: Keine Ahnung, Hauptsache nicht im Rampenlicht!

4. Pubertät Teil 2: Ich entdecke, was ich kann

Ein paar Jahre später bin ich Kundin in der gleichen Bäckerei und die Bäckerin sagt zu mir: „Wiebke, du hast dich ja wirklich verändert!“ Sie hat Recht. Denn mit 14 Jahren hatte ich begonnen, mich ehrenamtlich zu engagieren: Mit einer Freundin zusammen leite ich die Mädchenjungschar unserer Kirchengemeinde, fahre als Mitarbeiterin auf Jugendfreizeiten mit und beginne, in der Kirchenband zu singen. Ich entdecke, dass es mir Spaß macht, Gruppen zu leiten und spüre wieder Selbstvertrauen. Beim Jugendmitarbeiterkurs sagt der Kursleiter zu mir: „Wiebke, du bist die geborene Lehrerin!“ Huch! Ich? Lehrerin? Mmmmh…

1997 beim ehrenamtlichen Schälen hunderter Zwiebeln in Taizè

5. Nach dem Abitur: Fernweh

Lehrerin werden? Ach ne – mich packt stattdessen das Fernweh. Ich bewerbe mich beim „Mennonite Voluntary Service“ und werde nach dem Abi 1999 für ein Jahr in einer Tagesstätte für geistig behinderte Erwachsene in New Mexico, Albuquerque eingesetzt. Dort arbeitet eine Speech-and-Language-Pathologist, also eine Logopädin. Wow, diese Frau und ihre Arbeit beeindrucken mich und ich erinnere mich, wie toll ich diesen Beruf schon als Kind fand.

1999-2000 als Freiwillige in Albuquerque, New Mexico. Das Jahr rüttelt mein Weltbild ziemlich durcheinander und ich entdecke meinen alten Berufswunsch wieder.

6. Studium: Werde ich Logopädin?

Nach meinem Jahr in New Mexico fange ich in Hannover an, Sonderpädagogik zu studieren. Eigentlich will ich Logopädin werden, aber überall wird mir gesagt: „Die nehmen dich nicht, an den Schulen für Logopädie bewerben sich tausende Menschen.“

Mir wird aber gleich im ersten Semester der Sonderpädagogik klar, dass ich es trotzdem versuchen will und schreibe Bewerbungen. Und tatsächlich: 2001 bekomme ich einen Platz an der Fachhochschule in Idstein – dort gibt es gemeinsam mit der Hogeschool van Utrecht ein vierjähriges Bachelorstudium für Logopädie.

7. Berufseinstieg in Göttingen: Ich bin Logopädin

Frisch fertig mit dem Bachelorstudium beginne ich 2005 in einer logopädischen Praxis in Göttingen zu arbeiten mit den Schwerpunkten Kindersprachtherapie und Stimmtherapie. Das Praxisteam ist super, ich fühle mich wohl, lerne viel und mein Beruf erfüllt mich. Mehr als 40 Therapieeinheiten pro Woche, Therapieberichte, Vor- und Nachbereitung – ich arbeite viel und gerne und falle abends todmüde ins Bett.

7. Umzug nach Nordhessen: Ich werde Mama

Meine Tochter wird geboren.  Nach einem Jahr fange ich an zwei Nachmittagen der Woche wieder in meiner alten Praxis in Göttingen an zu arbeiten. Aber mittlerweile ist mein Mann mit seinem Studium fertig und ein Umzug nach Nordhessen steht an. Außerdem erwarten wir unser zweites Kind. Also bin ich in Nentershausen, in das wir während des zweijährigen Forstreferendariats meines Mannes ziehen, als Vollzeitmama zu Hause. Wir wohnen im alten Gärtnerhaus auf einem idyllischen Fachwerk-Gutshof, auf dem auch Ferien auf dem Bauernhof möglich ist – ein echtes Kinderparadies. Und ich habe täglich Feriengäste-Familien um mich herum, so dass mir der Neuanfang als Mama zu Hause leichter fällt.

8. Umzug nach Baden-Württemberg: Logopädin mit neuen Augen

Zweieinhalb Jahre später ziehen wir erneut um – ganz weit südlich, nach Schwaben! Dort wird im Kindergarten meiner Kinder jemand gesucht, der die Sprachförderung übernehmen kann. Das passt ja super, das mache ich! Besonders wichtig wird mir dort die Elternberatung. Denn aus meinem neuen Blickwinkel als Mutter ist mir nun viel klarer, wie groß die Sorgen werden können, wenn sich Kinder langsamer oder anders entwickeln. Und wie wichtig und sinnvoll es ist, mit Eltern gemeinsam zu arbeiten.

9. Heimweh

Die Arbeit macht mir Spaß und im CVJM, in dem ich mich engagiere, finden wir Freunde. Aber meinen Mann und mich packt das Heimweh. Unsere Familien wohnen 700 km entfernt in Norddeutschland, wir sehnen uns nach Nordwind und wünschen uns sehr, endlich ein „Zuhause“ zu haben. Zweieinhalb Jahre später klappt es: Mit zwei Kindern und drei Kaninchen ziehen wir in ein Dorf nördlich von Hannover, jetzt nur noch 130 km von unseren Familien entfernt. Wieder ein Neuanfang.

2015: Auf der Umzugsfahrt nach Niedersachsen.

9. Neustart im Norden

Logopädinnen werden gesucht. Und so kann ich direkt im Nachbarstädtchen unseres neuen Wohnortes in einer logopädischen Praxis beginnen. Ich behandle vor allem erwachsene Patienten mit Sprachstörungen nach Schlaganfall, durch Erkrankungen wie Parkinson bedingte Sprech- und Schluckstörungen und Patienten im Wachkoma. Ein Arbeitsfeld, in dem ich einige Jahre nicht gearbeitet habe und in das ich mich mit viel Energie neu einarbeite. Weil ich aber die Arbeit mit Kindern etwas vermisse, arbeite ich zusätzlich in einer Schule als Sprachförderkraft für geflüchtete Kinder und Jugendliche, die Unterstützung beim Deutschlernen brauchen.

10. Nochmal Mama

2017 bekommen wir ein drittes Kind und ich nehme noch einmal Elternzeit. Zum ersten Mal habe ich ein Smartphone – und lese mich während der Einschlafbegleitung unseres Jüngsten in Elternforen und Facebookgruppen fest. Beim Lesen merken ich: Es gibt so viele Fragen. Aber tatsächlich wenig Informationen über logopädische Themen, die für Eltern verständlich erklärt sind.

Mich stört, dass Vieles „von oben herab“ formuliert ist: „Du musst nur genügend vorlesen, dann…“. Dass Sorgen weggeredet werden: „Ach, das wird schon.“ Oder dass die Informationen viel zu allgemein sind und deshalb im echten Leben einfach nicht weiterhelfen.

10. Meine Idee: Ich schreibe ein Buch

Das will ich ändern. Ich starte noch in der Elternzeit enthusiastisch ein Buchprojekt. Ich will für Eltern schreiben, die sich Sorgen um die Sprachentwicklung ihres Kindes machen und nach wirklich hilfreichen Informationen suchen.

Mitten drin dann: Der erste Lockdown. Das heißt bei mir: Zwei Schulkinder (3. und 5. Klasse) und ein zweijähriges Kleinkind brauchen Home-Schooling und Home-Kita. Mein „Schreibbüro“ ist aber in unserer 100qm-Doppelhaushälfte am Küchentisch. Ich versuche, parallel noch irgendwie weiterzuschreiben, aber überfordere mich damit. Ich fühle mich total erschöpft, der Alltag wird mühsam.

Aber mit dem Schreiben aufhören? Pausieren? Auf keinen Fall! Das Schreiben ist zu einem Erholungsanker im Familien- und Berufsalltag für mich geworden.

10. Neuer (realistischerer) Plan: Ich werde Bloggerin

Das Buchprojekt setze ich tatsächlich auf Eis. Stattdessen starte ich in kleinen Schritten eine Website und fange an, kurze Blogartikel über Sprachentwicklung und Förderung im Alltag zu schreiben. Das ist zeitlich irgendwie machbar – und plötzlich viel erfüllender für mich, denn mit jedem neuen Blogartikel kann ich direkt Eltern helfen, die sich Sorgen machen oder Fragen haben. Sooo schön!

11. Heute: Ich bin bloggende Online-Logopädin

Seit einem Jahr gibt es jetzt meine Website mit Blog. Ich habe gelernt, meine Ziele in kleinere Schritte einzuteilen, um nicht wieder in so große Erschöpfung zu rutschen. Ein erstes kleines E-Book habe ich in diesem Jahr schon geschrieben. Und in meinem Kopf sind noch viele kreative Ideen. Jeden Morgen freue ich mich auf meine selbstständige Arbeit am Schreibtisch und bin so froh und dankbar, dass mich mein Weg bis hierher geführt hat.

Wiebke Schomaker Online Logopädin
2022: Ich bin an meinem Lieblingsplatz - inzwischen mit eigenem Schreibplatz statt am Küchentisch

Das Thema dieses Artikels habe ich mir nicht selbst ausgedacht. Im Rahmen der Blogchallenge „Boom Boom Blog“ von Judith Peters haben über 1000 Menschen gleichzeitig einen Artikel zum Thema „Wie ich wurde, was ich bin“ geschrieben. Schau gerne hier, wenn du in den spannenden Artikeln dieser Bloggerinnen stöbern willst.

28 Kommentare zu „Wie ich wurde, was ich bin: Mein Weg zur Logopädin“

  1. Du Liebe!
    Ich habe deinen Blogartikel so gerne gelesen. Und bin überrascht, wie viele Gemeinsamkeiten ich entdeckt habe, von denen ich noch nichts wusste. Taize, CVJM, Sonderpädagogik, eine Zeitlang in Schwaben… Wie kommt es, dass ich das alles noch nicht weiß? 😉
    Herzliche Grüße, Judith

  2. Liebe Wiebke,
    ich habe deinen Weg zur bloggenden Online-Logopädin sehr gerne gelesen und noch mehr über dich erfahren. Beim Lesen ist mir eingefallen, dass ich als Jugendliche auch mal Logopädin werden wollte, es aber bei mir auch hieß, dass ein Ausbildungsplatz kaum zu bekommen wäre. Wie gut, dass du noch einen Weg gefunden hast, deinen Traumjob zu lernen!
    Viele Grüße
    Ilka

      1. Ja, so verrückt. Ich hatte kurzfristig auch überlegt nach der Erzieherinnenausbildung noch Richtung Logopädie zu gehen, aber den Gedanken sofort wieder verworfen, weil auf der Schule wohl angeblich 300 Bewerbungen auf 50 Plätze eingingen. Ist im Nachhinein betrachtet auch völlig in Ordnung, weil es mich dann woanders hingezogen hat.

        Danke für Deinen Blogartikel. Ich fand es echt interessant von Deinem Weg zu lesen. Und bei Albuquerqe hatte ich gleich einen Bezugspunkt, weil wir gerade abends immer „Breaking Bad“ schauen und die Serie in ABQ spielt. Tolle Landschaft…

        1. Liebe Andrea, danke fürs Lesen! Die meisten Schulen haben damals sogar nur 10-15 Plätze auf bis zu tausend Bewerbungen gehabt. Die Serie kenne ich gar nicht, das schaue ich mir mal an. Ich war seit meinem Jahr in Albuquerque nie wieder dort. Irgendwann mal!

  3. Liebe Wiebke, wow, was für ein toller und informativer Artikel über Dich. Wie schön, dass du schon so früh wusstest, dass du Logopädin werden möchtest. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass wir früh eine Vorstellung oder Gedanken zu unserem Beruf haben, dann aber erst die notwendigen Erfahrungen machen dürfen, damit wir später so richtig gut in dem geliebten Beruf werden. Ich habe jedenfalls wieder ganz viel über dich und von dir gelernt.

    1. Liebe Ulrike, das ist ein interessanter Gedanke mit den notwendigen Erfahrungen, ja, das glaube ich auch. Danke fürs Lesen und für deine wertschätzende Rückmeldung. Liebe Grüße, Wiebke

  4. Liebe Wiebke,
    es ist ein wahrer Genuss, deinen beruflichen Werdegang mitzuverfolgen, der dich von deiner frühen Berufung raus in die Welt und wieder zurück in dein inneres Leuchten und Brennen für die „starke Sprache“ geführt hat. Sehr authentisch und sehr bereichernd, dein Artikel!

  5. Vielen Dank für diesen schönen Blogartikel. Ich habe ihn sehr gerne gelesen. Mein jüngerer Sohn hat aufgrund von Autismus erst sehr spät angefangen zu sprechen. Und auch er hat die Logopädie-Stunden – und seine Logopädin – sehr geliebt. Liebe Grüße Lea

    1. Liebe Lea, vielen Dank fürs Lesen und für deinen Kommentar! Wie schön, dass dein Sohn die Logopädie in so guter Erinnerung hat. Das ist toll, wenn es zwischen Logopädin und Kind gut passt. Alles Gute für euch! Liebe Grüße, Wiebke

  6. Was für ein toller Werdegang! Danke Für diesen Einblick und als zweimalige Mama mit Logopädie-Kindern würde ich sagen, dein Thema ist enorm wichtig!

    Liebe Grüße
    Irina

  7. Was für ein toller – und schön geschriebener – Beitrag. Es muss toll sein, seinen Berufswunsch schon so früh zu entdecken. Ich wusste als Kind überhaupt nicht was ich werden wollte. Es ist schön zu sehen, wie Du Dein Business entwickelt hast. Es gibt immer einen Weg, man muss ihn nur finden.

    Liebe Grüße aus München, Marita

  8. Wie schön, dass du deinen Weg hier als Beitrag geteilt hast. Ich liebe es wenn Leute erzählen, wie sie den Beruf gefunden haben den sie jetzt machen. Besonders schön finde ich es von Menschen mit einer Praxis für Logopädie zu hören.

    1. Liebe Nina, es freut mich sehr, dass du hier vorbei geschaut hast! Ich lese auch sehr gerne persönliche Artikel von Menschen, wie sie ihren Weg gefunden haben. Ganz liebe Grüße von Wiebke

  9. Cool, dass du auch online als Logopäden arbeitest. Ich finde den Beruf der Logopädin und den Bereich der Logopädie total spannend. Ich selbst habe mir mal antrainiert besser zu artikulieren.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wiebke Schomaker Logopädin

Hallo, hier schreibt Wiebke!

Ich bin Logopädin, Autorin dieses Blogs und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.

Viel Spaß beim Lesen! 🤩

Nach oben scrollen