Leben mit Kabuki-Syndrom: Interview mit Heiko Metz

Leben mit dem Kabuki-Syndrom: Interview mit Heiko Metz

Zum ersten Mal ist mir der Begriff „Kabuki-Syndrom“ in einem Blogartikel von Heiko Metz begegnet, der mich sehr bewegt hat (wer den Artikel lesen möchte: Kabuki ist ein Arschloch).

Spontan habe ich Heiko gefragt, ob ich ihn interviewen darf. Es kam ein Burnout dazwischen. Aber jetzt hat es geklappt und ich bin sehr dankbar, dass es Heiko besser geht und er bereit war, so ausführlich und ehrlich auf meine Fragen zu antworten.

1. Heiko, wer bist du, was machst du und warum bloggst du neben deinen vielen beruflichen und familiären Aufgaben auch noch?

Heiko: Mein Name ist Heiko Metz. Ich bin Theologe, Blogger und Familienvater von zwei Jungs, die mein Leben auf die schönste Weise bereichern – und ordentlich durcheinanderwirbeln. Neben meinem Beruf als Theologe und Coach schreibe ich über die Dinge, die mich bewegen: den Glauben, meine Familie und den langen Weg aus einem Burnout zu gutem Leben. Gemeinsam leben wir sehr gerne in Marburg. Ich liebe Kaffee – aber gut muss er sein -, bin absoluter Apple-Fanboy, weiß fast alles über Star Wars und finde, dass ein Tag ohne ein Buch ein verlorener Tag ist.

Warum ich blogge? Weil ich glaube, dass in den kleinen, ehrlichen Geschichten unseres Alltags oft das Größte steckt. Und weil ich anderen Mut machen möchte: Mut, auch in herausfordernden Zeiten nach Hoffnung zu suchen, nach Freude, nach Gott. Weil das alles immer da ist … auch, wenn wir es gerade nicht sehen können. Ich liebe es geradezu, Menschen auf ihrem Weg dahin zu begleiten, wieder/erstmals Heimat in ihrem Leben zu finden.  

2. Besonders eindrücklich fand ich deinen Blogartikel „Kabuki ist ein Arschloch“. Wer oder was ist Kabuki?

Kabuki ist eine seltene genetische Erkrankung, die unser Familienleben von Grund auf verändert hat. Unser jüngerer Sohn kam mit diesem seltenen Syndrom zur Welt. Die Diagnose war zunächst ein Schlag – wir wussten kaum etwas über Kabuki und wurden mit medizinischen Begriffen und Prognosen überschüttet. Es war, als ob uns der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Plötzlich standen wir vor einer Zukunft voller Fragezeichen. Nach dem ersten Gespräch mit der Ärztin auf der Intensivstation für Neugeborene war uns gar nicht klar, ob unser Sohn die nächsten Tage überhaupt überleben würde.  

Kabuki ist ein Syndrom, das von vielen körperlichen und geistigen Herausforderungen geprägt ist: charakteristische Gesichtszüge, Muskelhypotonie, weiche Gelenke, Entwicklungsverzögerungen und oft auch Begleiterkrankungen wie Herzfehler, Niereninsuffizienz oder Immunschwächen. Dementsprechend viele Krankenhausaufenthalte, Operationen, Therapien, Medikamente, Kontrolltermine etc. prägen den Alltag. Dazu die Ungewissheit, wie die weitere Entwicklung aussieht, wann der nächste Infekt unsere Pläne über den Haufen schmeißt und und und.  

Doch Kabuki ist auch ein ständiger Lehrer. Es zwingt uns, den Fokus auf die kleinen Fortschritte zu legen und Geduld in einer Weise zu lernen, die wir uns nie hätten vorstellen können.

Der Blogartikel „Kabuki ist ein Arschloch“ entstand aus einer Mischung von Wut, Trauer und dem Bedürfnis, ehrlich zu sein. Ich wollte unsere Herausforderungen benennen, ohne sie zu beschönigen. Gleichzeitig ist Kabuki auch eine Gelegenheit, uns selbst und unsere Familie neu zu entdecken. Wir haben gelernt, wie viel Stärke in uns steckt, wo unsere Grenzen sind und wie wertvoll die Unterstützung von anderen ist.

Aber ja: Es bleibt eine Herausforderung und oft genug auch Überforderung – für unseren Sohn, für uns als Eltern und für unseren Alltag. Und manchmal tut es einfach gut, dieser Herausforderung einen Namen zu geben, sie anzubrüllen, oder sich köstlich über sie zu amüsieren.

3. Wie war und ist die Sprachentwicklung eures zweiten Sohnes?

Die Sprachentwicklung war und ist ein Weg mit vielen Umwegen. Aufgrund der Muskelhypotonie und wiederkehrender Mittelohrentzündungen kam das Sprechen später in Gang. Das erste Wort, „Mama“, fiel mit etwa zwei Jahren. Es war ein Moment voller Tränen – vor Freude, vor Erleichterung. Bis heute beeinträchtigen diverse Probleme mit den Ohren seine Sprache. Er spricht schnell deutlich verwaschener, wenn er selbst schlecht hört, was leider regelmäßig der Fall ist. Die Zeiten, die wir in HNO-Praxen oder der HNO-Ambulanz verbringen, gehen aufgerechnet sicher schon in die Wochen. 

Von Anfang an arbeitet unser Sohn mit Logopäd:innen und Ergotherapeut:innen, und wir unterstützen ihn im Alltag mit visuellen Hilfsmitteln, klarer Sprache, einzelnen Zeichen aus der Gebärdensprache und viel Geduld. Dabei ist die Entwicklung zwar langsam, aber deutlich sichtbar. Haben lange nur wir Eltern grob verstehen können, was er sagen wollte, verstehen ihn mittlerweile die meisten Menschen recht gut.

Ein Highlight war, als ihn vor Kurzem sogar die Spracherkennung meines iPhones bei der Aufnahme einer Sprachnachricht für Opa fast richtig verstanden hat. Da haben wir uns beide ziemlich gefreut!

Humor spielt auf dem ganzen Weg eine zentrale Rolle. Eines unserer lustigsten Erlebnisse in letzter Zeit war, als unser älterer Sohn beim Abendessen vor Begeisterung so heftig aufsprang, dass er fast seinen Teller umwarf. Unser jüngerer Sohn, der sonst oft in seiner eigenen Welt ist, lachte laut und rief: „Mama, der ist gefliegt wie eine Vogel!“ Es war einer dieser Momente, in denen Sprache und Freude sich auf eine Weise verbinden, die uns alle trägt.

Darüber hinaus liebt er Musik, und manchmal kommen neue Worte in einem Lied viel leichter über seine Lippen als in einem Gespräch. Diese kleinen Erfolge sind Geschenke.

Trotzdem bleibt es herausfordernd. Manchmal fehlen Worte – vor allem, wenn er kognitiv eine Weiterentwicklung erlebt hat, mehr versteht und ausdrücken will, aber die Sprache noch nicht nachgekommen ist -, und wir merken, wie frustrierend das für ihn sein kann. Aber er gibt nicht auf – und das inspiriert uns.

4. Wie geht es euch inzwischen als Familie?

Uns geht es besser, aber es bleibt herausfordernd. Die Balance zwischen den Bedürfnissen unseres besonderen Kindes, denen unseres älteren Sohnes und unseren eigenen Bedürfnissen, sowie beruflichen Aufgaben fordert uns täglich heraus. Es gibt Tage, an denen die Erschöpfung überwiegt. Aber es gibt auch die anderen: die, an denen ein Lachen, ein neues Wort oder ein gemeinsamer Ausflug all die Sorgen vergessen lassen.

Unsere größte Herausforderung ist es, allen gerecht zu werden. Und dabei nicht uns selbst und als Paar zu verlieren.

Ich selbst bin vor einiger Zeit kurz davor gewesen. Ich war so erschöpft und nachhaltig überfordert, dass ich einen Burn-out hatte. Über ein Jahr habe ich gebraucht, um mich zu erholen, zu heilen und neu zu lernen, wie wir unser Leben nachhaltig gestalten können – auch angesichts der bleibenden Herausforderungen.

Für mich spielt noch die Unplanbarkeit und Unvorhersehbarkeit unserer Situation eine große Rolle. Wir planen unsere Woche oft schon mit einem Plan B im Kopf. Und dann muss meistens doch Plan C, D oder E greifen, damit wir halbwegs gut durch die Woche kommen. Zu viele Terminverschiebungen, Krankheiten etc. Aber auch unser ganzes Leben ist nach vorne raus schlecht planbar … das kostet mich viel Kraft, die ich eigentlich gut für andere Dinge brauchen könnte.

Aber auch bei aller Überforderung bleibt ganz deutlich: Wir lieben unsere Kinder. Wir lieben uns als Familie. Wir sind beschenkt mit wunderbaren Jungs und deren spannenden Persönlichkeiten und wollen jede Möglichkeit nutzen, uns mit- und aneinander zu freuen, zu lachen und Schönes zu erleben. 

5. Was hilft dir in deinem Alltag als Familienvater?

Unterstützung finden wir bei Therapeuten, Freunden und unserer Familie. Mein Glaube spielt dabei eine zentrale Rolle. In den stillen Momenten, in denen ich bete oder meditiere, finde ich Kraft. In diesen Momenten fühle ich, dass ich nicht allein bin, dass Gott mich trägt und mich begleitet, auch in den schwierigen Zeiten.

Ich habe gelernt, dass es okay ist, Hilfe anzunehmen. Sei es von unserer Gemeinde, die uns mit praktischen Dingen wie Essenslieferungen nach einem Krankenhausaufenthalt hilft, oder von Freunden, die einfach zuhören und da sind. Diese Gemeinschaft trägt uns, wenn wir das Gefühl haben, dass wir nicht mehr können.

Und Humor – er rettet uns, wenn alles zu viel wird. Unser Familienmotto lautet: „Wenn nichts mehr geht, lachen wir.“ Wahlweise die Situation, das Problem oder uns selbst aus. Oder halt einfach so. Das macht die schweren Tage leichter und die leichten Tage umso besser.

6. Was wünschst du dir für Familien?

Ich wünsche mir, dass Familien mit besonderen Kindern gesehen werden. Dass ihre Herausforderungen ernst genommen werden, ohne sie darauf zu reduzieren. Dass Barrierefreiheit und Inklusion zum Herzenswunsch unserer Gesellschaft werden. 

Insgesamt habe ich den Eindruck, dass es für Familien schwieriger geworden ist, ein einigermaßen ausgeglichenes Leben zu führen. Zu viele Ansprüche, Stress, Überforderungen etc. lassen viel zu viele Eltern am Rand der Erschöpfung vor sich hinorganisieren und schuften. Zeit für die Eltern selbst bleibt dabei schnell auf der Strecke. Ich würde mir sehr wünschen, dass wir diese Situation als Gesellschaft wahrnehmen und Abhilfe schaffen, wo immer möglich. Wir brauchen Familien, in denen Kinder und Eltern glücklich sein können. 

Gleichzeitig wünsche ich mir, dass jede Familie die kleinen Inseln der Freude findet – die Momente, in denen alles stimmt. Für uns sind es die Lacher am Esstisch, die Umarmungen am Abend und die Liebe, die trotz allem jeden Tag spürbar ist.

Möchtest du mehr über das Leben als behinderte Familie, Heikos Burn-out und Wege zu einem guten Leben trotz Widrigkeiten erfahren?

Heikos bloggt auf www.heiko-metz.de und auch auf Instagram ist er unter @heikometz zu finden.

1 Kommentar zu „Leben mit dem Kabuki-Syndrom: Interview mit Heiko Metz“

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Wiebke Schomaker Logopädin

Hallo, hier schreibt Wiebke!

Ich bin Logopädin, Autorin und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.

Viel Spaß beim Lesen! 🤩

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