Einer meiner liebsten Arbeitsbereiche als Logopädin ist die Therapie von Kindern, die wegen Stottersymptomen zu mir kommen.
Das war nicht immer so!
In meinen ersten Berufsjahren als Logopädin fühlte ich mich oft schrecklich unwohl, weil ich spürte, wie sehr das Stottern die Kinder und ihre Eltern belastet, aber ich das Gefühl hatte: Ich kann nicht „richtig“ helfen.
Diese Sichtweise hat sich zum Glück geändert. Heute weiß ich, dass es nicht meine Aufgabe ist, das Stottern einfach „wegzutherapieren“ – das kann ich gar nicht. Stattdessen kann ich Kindern und Eltern Wege zeigen, wie das Stottern leichter werden kann, so dass Stottersymptome die Kinder im Alltag möglichst wenig belasten.
Inzwischen liebe ich die logopädische Arbeit mit stotternden Kindern!
Hier findest du drei Gründe, warum:
Inhalt des Artikels
1. Grund: Ich kann stotternde Kinder dabei unterstützen, Wut und Hilflosigkeit in Mut und Selbstvertrauen zu verwandeln.
Kinder, die längere Zeit stottern, haben meistens schon zahlreiche frustrierende und unangenehme Erfahrungen im Gepäck.
Wenn Kinder immer wieder merken: „Ich kann nicht flüssig sprechen, egal, wie ich mich anstrenge!“ verändert sich ihr Selbstbild. Sie werden oft mutlos und entwickeln innere Überzeugungen wie: „Etwas stimmt nicht mit mir.“ oder „Ich bin nicht gut genug, weil ich stottere.“
Diese negativen Gefühle gegenüber sich selbst verursachen so viel Stress, dass Stottersymptome durch den chronisch erhöhten Cortisolspiegel verstärkt werden können.
Eine meiner Aufgaben als Logopädin ist es deshalb, mit einem stotternden Kind gemeinsam zu erarbeiten: „Ich darf stottern! Es ist okay, dass ich stottere!“
Hier erfährst du mehr darüber, warum „Ich darf stottern!“ ein Schlüsselsatz in der logopädischen Therapie von Stottern bei Kindern ist.
2. Grund: Ich kann Eltern von stotternden Kindern Schuldgefühle nehmen.
Wenn Eltern mit ihrem stotternden Kind zu mir kommen, haben sie oft das Gefühl: Alle anderen Kinder können flüssig sprechen. Was habe ich bloß falsch gemacht, dass mein Kind stottert? Was machen die anderen Eltern „besser“?
Diese Schuldgefühle kann ich zum Glück entkräften und Eltern vermitteln, dass das Stottern ihres Kindes keine Folge von Erziehungsfehlern oder falschen Vorbildern ist, sondern durch ein Zusammenwirken verschiedener Faktoren verursacht wird. Mit diesem Wissen ändert sich auch der Blick aufs Kind, denn ohne blockierende Schuldgefühle können die Stärken und die Persönlichkeit des eigenen Kindes wieder wahrgenommen und geschätzt werden. Das entspannt die Eltern-Kind-Beziehung und senkt damit das familiäre Stresslevel oft sehr.
3. Grund: Ich lerne selbst dazu.
Ein wichtiger Schritt in der Therapie mit stotternden Kindern ist das sogenannte „In-vivo-Training“: Das kann zum Beispiel so aussehen, dass das Kind und ich zur Bäckerei nebenan gehen und ich stotternd ein Brötchen kaufe. Das Kind kann mich und die Reaktionen der Verkäuferin als Zuschauer beobachten und von einem neutralen Standpunkt aus die Situation wahrnehmen. Anschließend reflektieren wir gemeinsam unser Erlebnis.
Dieser Therapieschritt ist für mich jedes Mal eine Herausforderung. Ich merke hautnah, wie viel Überwindung es mich kostet, mich unperfekt zu zeigen. Ich spüre Gefühle wie Scham und Unsicherheit, werde rot und angespannt. Das ist ziemlich unangenehm. Aber dadurch kann ich zumindest ein wenig nachvollziehen, welche emotionalen Stürme stotternde Menschen aushalten müssen (die sich diese Situationen im Unterschied zu mir weder aussuchen noch diese kontrollieren können).
Gleichzeitig bieten die anschließenden Gespräche ideale Momente, um mit dem Kind über unangenehme Gefühle, die das Stottern begleiten, ins Gespräch zu kommen.
Jede Therapiestunde ist für mich genauso ein Lernfeld wie für das Kind und seine Eltern. Und darum liebe ich inzwischen meine logopädische Arbeit mit stotternden Kindern!
Hier erfährst du mehr über Stottern bei Kindern.