Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen haben ein erhöhtes Risiko, im Schulalter eine Legasthenie zu entwickeln. Aber was ist Legasthenie eigentlich?
Um diese Frage fundiert zu beantworten, habe ich Ilka Kind um ein Interview gebeten. Ilka hat viele Jahre als Lehrerin für Deutsch und Französisch gearbeitet. Inzwischen unterstützt sie als Legasthenietrainerin und Lerncoach Kinder, Jugendliche und Erwachsene dabei, sicher lesen und schreiben zu lernen.
Im Interview erzählt Ilka, was eine Legasthenie ist, wie sie als Lerncoach mit Kindern arbeitet und gibt zwei einfache Tipps, was Eltern tun können, um ihr Kind gut auf die Schule vorzubereiten.
Inhalt des Artikels
Hallo Ilka, sag mal: Was ist Legasthenie?
Kinder mit einer Legasthenie haben große Schwierigkeiten, Lesen und Schreiben zu lernen. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Legasthenie/LRS als Entwicklungsstörung klassifiziert, treffen auf betroffene Kinder folgende Kriterien zu:
- Sie verfügen über eine normale Intelligenz
- sind altersgemäß entwickelt
- haben die Schule normal besucht
- sind in Bezug auf Sehen und Hören nicht beeinträchtigt
- sind psychisch nicht auffällig.
In Wissenschaftskreisen geht man davon aus, dass Legasthenie eine genetische Komponente hat. Dafür spricht, dass in manchen Familien über mehrere Generationen hinweg mehrere Personen massive Probleme mit dem Lesen und Schreiben haben.
Übrigens ist es bei der Förderung eines Kindes mit Problemen beim Lesen und Schreiben unwichtig, ob diese genetisch bedingt oder erworben sind. Wichtig ist, dass die Probleme mit dem Lesen und Schreiben möglichst frühzeitig angegangen werden, damit die Lücken nicht immer größer werden.
Was sind aus deiner Sicht die häufigsten Schwierigkeiten, die Kinder im Grundschulalter beim Lesen und Schreiben haben?
Man kann sich das Lesen- und Schreibenlernen wie das Hochsteigen einer Treppe vorstellen.
Nach und nach müssen die verschiedenen Stufen genommen werden, um am Ende der Treppe anzukommen. Wenn man das nun auf das Lesen und Schreiben überträgt, steht als Ziel, dass Kinder Texte verstehen und korrekt schreiben können.
Bei den Grundschulkindern, mit denen ich arbeite, beobachte ich häufig, dass sie einzelne „Stufen“ der Lese- und Schreibtreppe nicht sicher beherrschen.
Ilka Kind
Oft sind bei meinen Lernkindern ganz grundlegende Fertigkeiten fürs Lesen und Schreiben nicht automatisiert. Das bedeutet, dass sie diese Handlungen nicht ohne nachzudenken ausführen können.
Wenn ein Kind beim Schreiben beispielsweise überlegen muss, wie genau ein einzelner Buchstabe geschrieben wird, dann bleibt weniger Aufmerksamkeit, um auf die Rechtschreibung oder den Inhalt zu achten.
Was machst du als LRS-Trainerin, um den Kindern zu helfen?
Bevor ich mit einem Kind das eigentliche Lerntraining starte, mache ich eine Lernstandserhebung. Das heißt, ich überprüfe, was das Kind in der Rechtschreibung und beim Lesen schon kann und wo noch Lücken sind.
Aus der Analyse dieser Lernstandserhebung entwickele ich einen Förderplan, in dem ich festhalte, in welchen Bereichen das Kind noch Lücken hat und in welcher Reihenfolge wir die angehen.
Im eigentlichen Lerntraining kümmern wir uns dann nach und nach um die Problembereiche. Es ist natürlich wichtig, dass ein Kind die Regeln kennt. Aber noch viel wichtiger ist es, dass die Kinder das Gelernte anwenden und so lange wiederholen, bis sie es „wie im Schlaf“ können.
Um das zu erreichen, setze ich ganz unterschiedliche Methoden, Materialien und Spiele ein.
Hast du einen Tipp, was Eltern tun können, um ihr Kind gut auf die Schule vorzubereiten?
Aus meiner Sicht ist es nicht notwendig, dass Eltern ihre Kinder speziell auf die erste Klasse vorbereiten. Viele Dinge, die hilfreich sind, damit der Start im Deutschunterricht in Klasse 1 gut gelingt, machen viele Eltern ohnehin schon.
Wichtig finde ich hierbei:
- Den spielerischen Umgang mit Sprache zu fördern. Klassiker hierfür sind Abzählreime, Kinderlieder oder Spiele, in denen das Sprechen im Vordergrund steht. Dadurch erhält dein Kind ein Bewusstsein für die Struktur der Sprache (phonologische Bewusstheit), was für das Lesen- und Schreibenlernen sehr wichtig ist.
- Kinder zum Malen ermutigen. Toll ist es, wenn dabei schon auf die richtige Stifthaltung und die Körperhaltung geachtet wird. Das macht in der Schule das Erlernen der Schrift leichter.
- Kinder für Bücher und das Lesen interessieren. Das kann ganz wunderbar beim Vorlesen geschehen. Übrigens ist es sinnvoll, wenn du deinem Kind auch in der Grundschulzeit weiter vorliest. Nach und nach kann sich daraus dann ein gemeinsames Lesen entwickeln.
Sollten Eltern bei den ersten Schreibversuchen ihres Vorschulkindes/Schulanfängers die Rechtschreibung verbessern?
Es ist immer wieder wunderbar, wenn ein Kind seine ersten Worte schreibt. Ganz oft kann man beobachten, wie stolz die Kinder sind. Wenn in diesem Stadium die Rechtschreibung korrigiert wird, kann die Freude am Schreiben schnell in Frust umschlagen. Also deshalb die ersten Schreibversuche besser nicht korrigieren.
Wenn das Kind in der Schule die ersten Rechtschreibregeln gelernt hat, dann ist es durchaus sinnvoll, darauf zu achten, ob das Kind diese auch anwendet. Anstelle den Fehler einfach zu korrigieren, ist es viel sinnvoller, wenn du gemeinsam mit deinem Kind überlegst, wie das Wort richtig geschrieben wird.
Und ganz wichtig – es sollten nur die Sachen verbessert werden, die das Kind schon beherrscht.
Ilka Kind ist Legasthenietrainerin und Lerncoach in Hofheim und online. Für Eltern bietet sie u.a. einen Rechtschreib-Check an, bei dem die Rechtschreibung des Kindes analysiert und ein individueller Förderplan erstellt wird.
Und auf Ilkas Blog findest du viel Wissenswertes rund ums Lernen, Lesen und Schreiben.
Hallo, hier schreibt Wiebke!
Ich bin Logopädin, Autorin dieses Blogs und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.
Viel Spaß beim Lesen! 🤩