Auf meinem Instagram-Account @starkesprache erreichen mich immer wieder Fragen. Manche Fragen kann ich kurz und klar beantworten, für die meisten Antworten ist es aber nötig, etwas weiter auszuholen und Hintergründe zu erklären.
So ging es mir auch bei dieser Frage:
Wie kann man Kindern die Zungenruhelage beibringen (3.5J, Zunge
oft unten im Mund)?
Hier erfährst du die wichtigsten Hintergrundinfos rund um die Zungenruhelage bei Kindern.
Inhalt des Artikels
Was ist die Zungenruhelage?
Gibt es überhaupt einen korrekte Lage der Zunge?
Ja, die Zunge hat tatsächlich eine physiologische (also „korrekte“) Position im Mund: Dieser Platz ist oben am Gaumen. Dort saugt sich die Zunge flächig an, sobald der Mund geschlossen ist. Logopädinnen sprechen auch kindgerecht vom „Schlafplatz der Zunge“.
Auf der folgenden Abbildung siehst du die Zungenruhelage (ZRL) am Gaumen:

Von einer pathologischen Zungenruhelage wird gesprochen, wenn die Zunge sich, sobald der Mund geschlossen ist, nicht an den Gaumen anschmiegt, sondern unten im Mund liegt, wie auf diesem Foto:

Was ist das Problem, wenn die Zunge unten im Mund liegt?
Wenn sich die Zunge angewöhnt hat, unten im Mund zu liegen statt am Gaumen, kann dies langfristig verschiedene negative Auswirkungen haben:
Folgen für das Kieferwachstum
Die Zunge hat eine besonders wichtige Rolle beim Kieferwachstum: Während des Wachstums formt sie den Gaumen und Kiefer durch stetigen Druck in eine breite U-Form. Bei fehlendem Impuls der Zunge wächst der Oberkiefer nicht breit, sondern entwickelt sich hoch und schmal. Durch das dadurch entstehende Ungleichgewicht von Ober- und Unterkiefer kann zum Beispiel ein Kreuzbiss entstehen.

Folgen für Schluckmuster und Zähne
Beim Schlucken wird normalerweise die Zunge gegen den Gaumen gedrückt. Dadurch rutscht die Nahrung nach hinten und der Schluckreflex wird ausgelöst. Bei falscher Zungenruhelage verändert sich jedoch häufig auch das Schluckmuster: Die Zunge drückt dann gegen die vorderen Zähne statt nach oben gegen den Gaumen.
Dieses falsche Schluckmuster kann unter anderem zu einem offenen Biss führen. Außerdem bleiben oft Nahrungsreste auf der Zunge, weil diese bei einem hohen, schmalen Kiefer nicht mehr vollständig den Gaumen berühren kann. Dies erhöht das Risiko für Karies.
Aussprache
Eine ungenaue Aussprache („Nuscheln“) kann mit einer falschen Zungenruhelage zusammenhängen. Denn häufig ist gleichzeitig die Sensibilität der Zunge herabgesetzt, so dass die präzisen Bewegungen der Zunge, die für die genaue Artikulation wichtig sind, schwerer fallen.
Was ist die Ursache für eine falsche Zungenruhelage?
- Mundatmung: Bei langandauernden Infekten oder durch eine vergrößerte Rachenmandel („Polypen“) gewöhnen sich Kinder manchmal an, durch den Mund zu atmen. Mundatmung bedeutet jedoch, dass die Zunge nicht mehr am Gaumen angesaugt sein kann, denn dann ist es nicht möglich, durch den Mund zu atmen. Die falsche Zungenruhelage ist also eine direkte Folge von Mundatmung. Umgekehrt kann eine Zungenruhelage unten am Mundboden wiederum Mundatmung begünstigen.
- Zungenband: Auch ein zu kurzes Zungenband kann eine korrekte Zungenruhelage verhindern oder erschweren. Hier findest du weitere Infos, Fotos und Tipps zum verkürzen Zungenband.
- Schnuller oder Daumen: Wenn sich ein Schnuller oder Daumen im Mund befinden, kann die Zunge ihren Ruheplatz am Gaumen nicht mehr einnehmen. Bei häufigem Einsatz kann sich ein Kind so die falsche Zungenruhelage angewöhnen. Hier erfährst du mehr über mögliche Auswirkungen des Schnullers.

Was kannst du tun, wenn du bei deinem Kind eine pathologische Zungenruhelage beobachtest?
Zunächst ist es wichtig, die Ursache für die auffällige Zungenruhelage zu finden.
In einer HNO-Praxis können organische Gründe wie eine vergrößerte Rachenmandel festgestellt werden, die hinter der Mundatmung und damit auch hinter der pathologischen Zungenruhelage stecken können.
Zeitgleich ist eine Beratung in einer spezialisierten zahnärztlichen oder kieferorthopädischen Praxis sinnvoll, um herauszufinden, ob und wie das Kieferwachstum bereits negativ beeinflusst wurde. Manchmal ist eine Erweiterung des Oberkiefers sinnvoll, zum Beispiel, wenn sich bereits ein Kreuzbiss entwickelt hat.
Auch wenn mögliche Ursachen behandelt wurden, bleiben Mundatmung und pathologische Zungenruhelage als Angewohnheit häufig bestehen. In einer logopädischen Therapie wird Schritt für Schritt die Nasenatmung, korrekte Zungenruhelage und das physiologische (korrekte) Schluckmuster geübt (orofaciale myofunktionelle Therapie).
5 Tipps von Logopädinnen: Die Zungenruhelage zeigen und üben
Auf meinem Instagram-Account habe ich Logopädinnen gefragt, was ihre Tipps für das Lernen und Angewöhnen der richtigen Zungenruhelage sind. Die gesammelten Tipps habe ich hier zusammengefasst:
Tipp 1: Die richtige Zungenruhelage finden
Zeige deinem Kind, wie es mit der Zunge laute Schnalzgeräusche machen kann (die Zunge sollte dabei kräftig nach oben gegen den Gaumen drücken, aber nicht die Schneidezähne berühren). Nun könnt ihr die Zeit bis zum Lösen der Zunge verlängern und dein Kind kann versuchen, seine Zunge zu spüren: Wo ist die Zunge kurz vor dem Schnalzgeräusch? Kann die Zunge dort auch bei geschlossenem Mund liegen?
Auch Myospots können helfen, damit Kinder die Zungenruhelage leichter finden. Myospots sind kleine Haftpads (sehen wir kleine Tabletten aus) mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen, die an den Gaumen direkt hinter die Schneidezähne geklebt werden. Die Zunge wird dadurch angeregt, sich nach oben zu orientieren. Nach ca. 45 Minuten löst sich der Myospot von selbst auf.
Meine persönliche Erfahrung mit Myospots: Für manche Kinder ist es hilfreich, eine sensorische Erinnerung an die Zungenruhelage zu haben. Andere Kinder werden jedoch durch Myospots irritiert oder legen nur die Zungenspitze hinter die Schneidezähne. Es ist aus meiner Sicht sinnvoll, die Zungenruhelage bei allen Kindern auch ohne Myospots zu üben und darauf zu achten, dass ein großer Teil der Zunge am Gaumen angesaugt ist und nicht nur die Zungenspitze.
Ich verlinke hier die Myospots bei Logicana. Myospots sind ein therapeutisches Hilfsmittel und sollten nur unter der Anleitung einer Logopädin angewendet werden.
Tipp 2: Dauer von Mundschluss und Zungenruhelage langsam aufbauen
Josephine von @meerwald_logopaedie empfiehlt diese beiden Spiele, um während des Spielens Mundschluss und Zungenruhelage zu trainieren. Denn bei diesen Spielen ist Sprechen nicht nötig, so dass der Mund geschlossen und die Zunge am Platz bleiben kann:
- Kugelblitz von Noris: Bunte Kugeln werden mit einer durchsichtigen Röhre so schnell wie möglich eingesammelt. Dabei muss eine Farbreihenfolge beachtet werden. Ein schnelles Actionspiel in drei Schwierigkeitsstufen ab 4 Jahren.
- Bellz! von Spin Master Games: Mit Hilfe eines Magnetstabs werden die Glöckchen der eigenen Farbe gesammelt, ohne dass Glöckchen anderer Farben angezogen werden. Ein ruhiges Spiel ab ca. 4 Jahren.
Tipp 3: Erinnerungshilfen für die Zungenruhelage schaffen
Dieser Tipp kommt von der Logopädin @logo_mit_herz: „Wenn die Zunge sicher weiß, wohin sie muss, mache ich gemeinsam mit dem Kind gerne ein Perlenarmband, auf dem mit Buchstabenperlen ZAP steht: „Zunge am Platz“. Das Armband ist eine gute Erinnerung für den Alltag, immer wieder an die richtige Zungenposition zu denken.“
Tipp 4: Den ganzen Körper einbeziehen
Mundatmung und falsche Zungenruhelage spiegeln sich oft im ganzen Körper wider.
Die Logopädin und Expertin für Sensorische Integration Katja Ebeling vom Instagram-Account @logopaedie_neu_denken schreibt dazu:
„Mundmotorische Übungen zur Einnahme der Zungenruhelage helfen nicht ausreichend, wenn das Kind zudem einen gesamtkörperlichen Hypotonus zeigt. Häufig fehlen dann grundlegende Fähigkeiten aus dem Entwicklungsbereich der sensorischen Integration.
- Kraftvolles Arbeiten mit den Händen, zum Beispiel eine Schatzsuche im Sand
- Krabbelparcours über unebene Untergründe
- Bewegungsspiele mit Beschleunigung (Schaukeln)
fördern Haltungsaufrichtung und Stabilität. Dann klappt’s auch mit der Zungenruhelage.“
Tipp 5: Das „Warum“ hinter dem Üben erklären
Meine Erfahrung als Logopädin ist: Kindern fällt es viel leichter, sich etwas Neues und Unbekanntes anzugewöhnen, wenn sie verstehen, warum dies wichtig ist.
Um die Wichtigkeit der Nasenatmung und Zungenruhelage kindgerecht zu erklären, nutze ich mein Buch „Ida und das Wunder der Atmung“. Im Buch begegnen die Kinder dem Elefanten Elo. Er hat Rüsselschnupfen und kann nicht durch seinen Rüssel atmen – dabei ist doch bald die Rüsselball-Weltmeisterschaft!
Zum Glück begegnet Elo dem Mädchen Ida. Sie hat viele gute Ideen, wie sie Elo helfen kann. Gemeinsam mit Ida und Elo entdecken die Kinder, welche Vorteile es hat, durch die Nase zu atmen, wie Nasenatmung funktioniert und was mit der Zunge passiert, wenn wir atmen.

Ida und das Wunder der Atmung: Ein Kinderfachbuch über Nasenatmung
- lustige Geschichte ab ca. vier Jahren, die Atmung mit dem Alltag von Kindern verbindet
- Sachbuchteil mit vielen spannenden Infos zur Atmung und Zunge
- Spiele zum Üben der Nasenatmung
- Infoteil für Eltern und Fachkräfte

Hallo, hier schreibt Wiebke!
Ich bin Logopädin, Autorin und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.
Viel Spaß beim Lesen! 🤩