Der Beikoststart ist für die meisten Eltern ein aufregender Moment. Gleichzeitig kann dieser Meilenstein auch verunsichern: Ab wann soll ich mit Beikost starten? Mit Brei oder Baby led weaning? Was mache ich, wenn mein Baby nichts essen will?
Um dir den Start in die Beikoststart einfacher zu machen, habe ich Ann-Cathrin Schmidt mit meinen Fragen rund um Kinderernährung löchern dürfen.
Ann-Cathrin ist Logopädin und Mama einer einjährigen Tochter. Als Logopädin begleitet sie unter anderem Eltern von Kindern mit herausforderndem Essverhalten, denn ihre besondere Leidenschaft gilt den Themen Kinderernährung und Stillen. Mit ihrer wertschätzenden Herangehensweise an diese sensiblen Themen ist sie mir auf Instagram aufgefallen und ich habe sie um ein Interview gebeten. Ich bin so froh, dass sie direkt zugestimmt hat, mir meine Fragen zu beantworten.
Inhalt des Artikels
Ab wann können Eltern mit der Beikost starten?
Ann-Cathrin: Die allgemeine Empfehlung ist: Ab dem 5. Lebensmonat, also nach Vollendung des 4. Lebensmonats. Wichtig zu verstehen ist, dass sich diese Empfehlung auf die durchschnittliche Entwicklung der Verdauungsorgane bezieht – dass sie also den frühesten Zeitpunkt der Einführung mit Beikost angeben.
Was hier überhaupt nicht beachtet wird: Der ganz individuelle motorische und kognitive Entwicklungsstand eines Kindes. Es gibt überhaupt keine Notwendigkeit, „zeitnah“ mit Beikost zu starten.
Es gibt Voraussetzungen, die gegeben sein sollten, wenn mit der Beikost begonnen wird. Viel wichtiger als irgendeine Altersangabe ist, dass Eltern sich folgende Fragen stellen und die individuelle Entwicklung ihres Kindes einschätzen:
- Hat mein Kind eine stabile Kopfhaltung und Kopfkontrolle?
- Hat mein Kind eine Rumpfkontrolle, also kann es sich mit Unterstützung aufrecht halten, also mit Unterstützung sitzen?
- Kann sich mein Kind vom Rücken auf den Bauch drehen?
- Kann mein Kind Essen selbst mit der Hand zum Mund bringen?
Wenn Eltern Beikostreifezeichen googeln, wird häufig noch genannt: „der Zungenvorstoß muss weg sein“, also dass das Kind bei Berührung der Lippen oder der Zunge mit der Zunge nach draußen schiebt.
Finde ich etwas schwierig, weil der Zungenvorstoß kein Reflex ist, der von heute auf morgen verschwindet, sondern den Babys zum Teil lange bleibt. Er entwickelt sich meiner Erfahrung nach im Laufe des langsamen Beikost-Starts immer weiter zurück. Learning by doing. Genauso wie der Würgreflex sich während der oralen Phase, also der Phase, in der sich Babys alles in den Mund stecken und eben auch mit der Beikost nach hinten verlagert.
Auch die oft gelesene Empfehlung „dein Kind zeigt Interesse am Essen“ betrachte ich differenziert. Einem Baby ist der Zusammenhang zwischen dem, was wir Erwachsene da tun – was nun mal super interessant aussieht, weil es mit unserem Gesicht, Lebensmitteln und einer offensichtlich spaßigen Tätigkeit zu tun hat – und der Nahrungsaufnahme, also dass tatsächlich Essen im Körper landet, nicht klar.
Wenn Eltern also rückmelden „mein Baby möchte essen“ – hat es vor allem Interesse an der Situation. Ob es nachher wirklich das Angebotene isst, bleibt völlig offen. Das betone ich nur deswegen, da Eltern oft enttäuscht sind, wenn ihr Kind trotz des vermeintlich großen Interesses am Essen den ersten Brei oder den ersten gedünsteten Gemüsestick wiederholt verweigert.
Was mir zum Thema „Wann mit der Beikost starten“ wichtig ist zu sagen: Es ist keine Eile geboten. Selbst wenn ein Kind nach Vollendung des 4. Lebensmonats alle oben genannten Voraussetzungen erfüllt, kann es sein, dass aufgrund äußerer Umstände (Krippen-Eingewöhnung, Zahnen, Krankheit, Stress der Begleitpersonen) nicht der richtige Zeitpunkt für die Einführung von Beikost ist.
Es braucht mindestens 14 Tage Zeit und Ruhe zu Beginn, um das Experiment zu starten. Alles muss erstmal zueinander finden: das geeignete Essensangebot – du – das Kind – ggf. der Löffel – das Essen – der Mund – das Transportieren des Essens im Mund – das Abschlucken. Am Ende kann der Zeitpunkt für den Beikoststart auch revidiert werden und es kann erneut auf einen guten Zeitpunkt gewartet werden. Das schadet nicht, sondern hilft, dass eigene Kind besser kennen zu lernen.
Brei oder nicht? Füttern oder selbst essen lassen? Was ist deine Sichtweise?
Ann-Cathrin: Der aktuelle Trend geht definitiv zum sog. baby led weaning (BLW). Hier wählt das Kind selbst aus einer Auswahl an weichen, mit der Zunge zerdrückbaren Lebensmitteln was es möchte, anstatt Brei mit dem Löffel zu bekommen.
Ich bekomme in den letzten Jahren das Gefühl, dass BLW als das einfachste und beste für jedes Kind beschrieben wird. Einer der Gründe ist die Annahme, dass das Füttern mit dem Löffel nicht oder weniger selbstbestimmt für das Kind sei. Das Kind ist dem Erwachsenen ausgeliefert und muss seinen Mund öffnen, muss weiter essen, obwohl es satt ist und entwickelt keine mundmotorischen Fähigkeiten. Stimmt so nicht.
Fakt ist: Das Kind, wie jeder Erwachsene auch, muss natürlich aktiv etwas tun, auch wenn der Löffel angereicht wird: den Mund gezielt öffnen, die Nahrung vom Löffel abnehmen – das lernen die Kinder im Verlauf – das Sammeln des Breis auf der Zunge, das Abschlucken ist teils reflexartig, teils wird das Abschlucken bewusst gestartet.
Also: Brei essen und vor allem das Anbieten mit dem Löffel will gelernt sein. Wenn du als Begleitperson weißt, worauf es ankommt, worauf du bei deinem Kind in der Ess-Situation achten kannst (und das fängt schon bei der Positionierung des Kindes an), spricht überhaupt nichts gegen Brei.
Es gibt sogar Kinder, die sind für BLW als Start in die Beikost noch nicht mutig genug, die sind überfordert von den Beschaffenheiten der Lebensmittel, den Wahrnehmungen an den Händen, der Feinmotorik, der Auswahl an Lebensmitteln. Heißt das dann, dass das Kind noch nicht beikostreif ist? Ich sage nein, sondern BLW darf zurückgestellt werden und die sensorische Wahrnehmung außerhalb der Ess-Situation kann gefördert werden.
Wenn das Anbieten mit dem Löffel selbstbestimmt stattfindet, kann das eine super schöne Interaktion sein, in der das Kind ganz viel Vertrauen der Begleitperson entgegen bringt und sich sogar in stressigen Situationen und bei großem Hunger „fallen lassen kann“. So kann das Anreichen von Brei in vollen Zügen genossen werden, von der Begleitperson und dem Kind, das bei BLW nicht auf seine Kosten gekommen wäre.
Und natürlich, als Logopädin steh ich total hinter der Förderung der Zungen- und Mundmuskulatur und ich steh noch viel mehr hinter dem Spielen und Matschen mit Lebensmitteln und überhaupt gehören für mich selbstverständlich festere und weichere Lebensmittel immer mit dazu, auch wenn sich Eltern erst mal für Brei entscheiden.
Es ist absolut zu empfehlen, an irgendeinem Zeitpunkt weiche, mit der Zunge zerdrückbare Lebensmittel anzubieten, die selbstständig gegessen werden können.
Eltern müssen sich jedoch nicht zwischen Brei und BLW entscheiden, sondern können beides für sich ausprobieren und starten mit dem, womit sie sich selbst am sichersten fühlen und was ihnen am sinnvollsten für ihr Kind erscheint.
Welche Herausforderungen beobachtest du bei Eltern, die mit der Beikost starten?
Ann-Cathrin: Zum einen gibt es so viele offene Fragen, wenn man sich als Eltern das erste Mal mit dem Thema Beikost beschäftigt. Wann jetzt starten? Wie genau? Welches Besteck? Wie platziere ich mein Kind? Auf was besser verzichten? Brei oder BLW? Wie Verschlucken vermeiden? Wie stille ich ab? Wie lange brauche ich eine Flasche? Was ist mit potenziellen Allergien?
Zum anderen gibt es schier eine Informationsflut. Alles googeln zu können ist Fluch und Segen zugleich. Sich selbst durch den Dschungel der Kinderernährung zu navigieren mit all den unterschiedlichen Empfehlungen um einen herum ist nicht leicht. Das heißt, so ein Beikoststart kann schon mal zu Stress führen und schnell zu Selbstzweifeln, wenn die Ess-Situationen ganz anders verlaufen, als man sich vorgestellt oder erhofft hat.
Wichtig zu verstehen ist, dass kein Beikost-Fahrplan der Welt dich dabei unterstützt, deinem Kind Lust auf Lebensmittel und Essen zu machen. Er kann dir höchstens Orientierung geben. Damit Begleitpersonen bei der Einführung der Beikost sicher und selbstbewusst agieren können, ist es unerlässlich, dass sie sich im Vorfeld fundiertes Fachwissen aneignen.
In meinen Beikostkursen beispielsweise machen sich die Teilnehmer:innen am Ende ihren eigenen Fahrplan, insofern sie der „Planungs- und Struktur-Typ“ sind und es ihnen Sicherheit schenkt. Viele Eltern fühlen sich ohne feste Struktur freier und möchten Tag für Tag intuitiv entscheiden.
Ich sage immer wieder: Wichtiger als die Auswahl der Lebensmittel (ob Pastinake, Zucchini oder Kürbis) und deren Konsistenz (Brei oder mit der Zunge zerdrückbar) ist das Wissen darüber, wie Begleitpersonen Kinder in der Beikostzeit und darüber hinaus motivierend und unterstützend begleiten können. So entsteht in den Ess-Situationen Freude, Selbstbestimmtheit, Kinder entwickeln Sicherheit und Mut, sich auf neue Lebensmittel einzulassen.
Hast du Tipps für Eltern, deren Kind die Beikost ablehnt?
Ann-Cathrin: Mit welchen Erwartungen wurde in die Beikost-Phase gestartet? Die Erwartungen sind nämlich groß. Kinder sollen erst flüssig, dann breiig, zuletzt stückig, stets planmäßig, möglichst sauber, vor allem gesund, in der vorgesehenen Menge, durchgehend freudig, gerne neugierig ernährt werden.
Kinder haben aber Bedürfnisse und wollen in Beziehung, mit Begleitung, mit Selbst-Vertrauen, mit Verlässlichkeit, mit Aufmerksamkeit selbstbestimmt essen lernen.*
*Leseempfehlung: Gätjen, E. (2023). Vom Sollen zum Wollen. UGBforum, 3
Wir dürfen uns bei Einführung der Beikost bewusst machen: Ein Kind bekommt nicht nur etwas anderes zu essen, sondern vor allem ändert sich die Art und Weise, wie das Kind Nahrung aufnimmt: Lustvolles, instinktives Saugen (nah an der Mama, viel Körperkontakt, volle emotionale Sättigung) soll sich zu bewusstem selbstständigen, also kognitiv sehr anstrengenden Essen mit der Hand oder dem Löffel hin entwickeln. Das braucht Motivation und Zeit.
Eltern dürfen sich merken: „Food under one is just for fun“. Der Prozess des Essenlernens wird immer vom Kind bestimmt, völlig unabhängig vom Alter des Kindes, der Tageszeit und den Mengen.
Du kannst dir als Begleitperson immer wieder bewusst machen, dass Beikost folgendes bedeutet: Anbieten und möglichst entspannt anschauen, was passiert. Denn im Vordergrund steht das Zusammenspiel zwischen dir und deinem Kind – das Aufeinander reagieren, die Freude am Entdecken und das Anbieten einer großen Lebensmittelpalette.
Wenn dir das gelingt, ist deine Aufgabe erfüllt. Wie viel Essen pro Mahlzeit in deinem Kind landet, kannst du am Ende nicht kontrollieren.
Kinder reagieren auf unser Verhalten. Das heißt, die Grundeinstellung muss ohne Leistungsdruck und ohne terminiertes Ziel sein. Sonst bleiben an Tagen, an denen das Kind aus welchen Gründen auch immer nicht so mitmacht, wie wir uns das vorstellen, negative Gefühle zurück – auf beiden Seiten.
Ich übe aktuell täglich, das „Nicht-Essen“ meiner 1-jährigen Tochter nicht als Rückschlag zu sehen, sondern die Rahmenbedingungen der jeweiligen Ess-Situation zu überprüfen und bei der nächsten Mahlzeit zu verbessern.
Was sind günstige Rahmenbedingungen, die ablehnendes Ess-Verhalten verhindern oder minimieren können?
- zwei Stunden Essenspause zwischen zwei Mahlzeiten
- ablenkungsfreie Umgebung
- vorab in die Vorbereitungen einbeziehen, sodass das Kind weiß, was es gleich erwartet
- gemeinsam essen, Ähnliches essen, vor allem auch Vorbild sein.
Eine Mahlzeit hat nicht nur die Bedeutung der Sättigung, sondern erfüllt im besten Fall auch das Bedürfnis nach Gemeinschaft, Kommunikation/Austausch und Lernen/Selbstbestimmtheit/Autonomie.
Und eine Mahlzeit darf den jeweils aktuellen Bedürfnissen des Kindes entsprechen, auch wenn das bedeutet, dass die Knigge-Regeln nicht befolgt werden. Es sollte im ersten Lebensjahr durch Muttermilch oder Pre-Nahrung immer für ausreichend Ernährung gesorgt sein, sodass kein Essensdruck entstehen muss.
Wo können sich Eltern über den Beikoststart weiter informieren?
Ich kann Eltern nur empfehlen, einen Kurs bei geschulten Fachleuten zu machen. So spart man sich das Googeln und kann während des Kurses all seine Fragen los werden.
Genial ist es, wenn sich daraus ein Kontakt ergibt, den die Eltern bei Herausforderungen während der Beikosteinführung und den Monaten danach kontaktieren können. Ich würde mir immer die dahinter steckende Ausbildung der Kursleiterin/des Kursleiters anschauen und fragen, ob beide Ansätze Brei und BLW besprochen werden oder nur einer davon.
Es gibt auch tolle Bücher, wie beispielsweise das Buch „So isst dein Baby Beikost“ von Franka Lederbogen. Sie hat auch ein großes Instagram Profil.
Und natürlich kann ich von Herzen meinen Kurs Abenteuer Beikost empfehlen, der im Oktober 2024 in die nächste Runde startet.
In den drei Online-Treffen geht es neben den Basics „Wann starten? Wie starten? Mit welchen Lebensmitteln?“ vor allem um die Fragen: „Was tun, wenn das Kind nicht isst? Was tun, wenn das Kind nicht aufhört zu essen? Was tun, wenn das Kind nur Quatsch macht? Woher weiß ich, dass mein Kind satt ist?“ und so viel mehr. Es geht um die Vorteile von Brei und die Vorteile von festeren Lebensmitteln – also um das Beste aus beiden Ansätzen.
Und noch eine letzte Frage: Wie bist du dazu gekommen, dich als Logopädin auf die Still- und Ernährungsberatung zu konzentrieren?
Ich denke da spielen viele Dinge zusammen.
Seit 10 Jahren liebe ich es, mich mit Ernährungsthemen auseinander zu setzen, habe vieles selbst ausprobiert und bin fasziniert, welche Auswirkung Ernährung auf unseren Körper und Geist, auf unsere (Darm-) Gesundheit haben kann.
Als Logopädin habe ich lange in der Neurologie gearbeitet. Dort ging es bei den Patient:innen häufig um das Wiedererlernen des Schluckens und um entsprechende Ernährung bei Schluckstörungen. In der Praxis traf ich immer wieder auf kleine Patient:innen mit der Diagnose „Fütterstörung“ – nicht immer konnte ich logopädisch weiterhelfen. Zurück blieben besorgte Eltern mit Kindern, die manchmal nur drei Lebensmittel aßen und davon wenig und Mütter, die so unglaublich gerne gestillt hätten, aber keine professionelle Unterstützung bekamen.
Weil das Thema Stillen und wählerisches Essverhalten bei Kindern so präsent ist und häufig geeignete Anlaufstellen fehlen, wusste ich irgendwann: Das ist mein Ding. Das sind meine Themen, in denen ich mich einarbeite, um Expertin zu werden.
Logopädie – Stillberatung – Kinderernährung. Diese drei Themen ergänzen sich in meinen Augen nahtlos. Wenn Eltern in diesen Themen (Selbst-) Sicherheit gewonnen haben und dadurch informierte, selbstbestimmte Entscheidungen treffen, unabhängig davon was andere tun – leuchten meine Augen.
Mein Herzens-Anliegen sind zwei Dinge:
- Allen Fürsorger:innen den Rücken bei Sorgen rund um das Still- und Essverhalten ihres Kindes zu stärken.
- Möglichst vielen Kindern die Chance geben, eine nachhaltige und gesunde Beziehung zu Lebensmitteln und zum Essen zu entwickeln.
Die Logopädin Ann-Cathrin Schmidt begleitet Eltern bei herausforderndem, wählerischem und ablehnendem Essverhalten und bei sämtlichen Ernährungsfragen im Kindesalter. Seit zwei Jahren bietet sie Eltern-Kurse zu den Themen Stillen und Beikost an.
Ab Herbst 2024 gibt es weitere Kurse und Info-Abende rund um herausforderndes Essverhalten, also um den Umgang mit den „schlechten Essern“.
zu Ann-Cathrins Website „Satte Gespräche“
Instagram: @satte_gespraeche
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