Mein Kind versteht alles, spricht aber nicht. Warum?

Mein Kind versteht alles, spricht aber nicht!

FRAGE: Mein Kind ist 26 Monate alt und spricht bisher nur wenige Wörter, versteht aber alles. Warum spricht es nicht?

MEINE ANTWORT: Es ist super, dass du nicht nur auf die Wörter achtest, die dein Kind spricht, sondern auch das Sprachverständnis im Blick hast. Denn damit ein Kind ein neues Wort sprechen kann, muss es vorher die Bedeutung des Wortes verstanden und gespeichert haben.

Du fragst, warum dein Kind alles versteht, aber bisher nicht spricht. Die Antwort darauf ist sehr individuell, denn nicht nur das Sprachverständnis ist eine wichtige Voraussetzung fürs Sprechen.

Diese Gründe können einen späten Sprechbeginn verursachen oder begünstigen:

Grund 1: Das Hören ist oder war eingeschränkt

Wenn sich zum Beispiel durch häufige Erkältungen Feuchtigkeit (ein Paukenerguss) im Mittelohr hinter dem Trommelfell gesammelt hat, hört ein Kind die Sprache nur dumpf.

Dass ein Kind nicht gut hört, ist gar nicht so offensichtlich, wie man denken könnte. Denn laute Geräusche hört es normalerweise trotzdem und viele Kinder können auch Sprache verstehen. Aber der feine Unterschied zwischen ähnlichen Lauten (zum Beispiel SCH, CH und S) wird nicht mehr gut wahrgenommen.

Paukenergüsse oder andere Höreinschränkungen in der sprachsensiblen Phase können zur Folge haben, dass ein Kind eine Aussprachestörung entwickelt, also einen ausreichenden Wortschatz hat, aber die Wörter fehlerhaft ausspricht. Diese Aussprachefehler bleiben oft bestehen, auch wenn ein Kind wieder gut hört.

Bei jüngeren Kindern hat diese leichte Schwerhörigkeit oft auch zur Folge, dass die Sprachentwicklung insgesamt ausgebremst wird und das Kind viel langsamer neue Wörter lernt. Denn es hört die einzelnen Wörter nicht präzise und kann sie deshalb auch nicht sicher speichern. Und deshalb auch nicht aktiv sprechen.

Genauere Infos zu den Zusammenhängen findest du in meinem Artikel „Paukenerguss und Polypen: So beeinflussen sie die Sprachentwicklung“.

Grund 2: Das Sprachverständnis ist kleiner als gedacht

Late Talker, die altersgemäß Sprache verstehen, haben eine höhere Wahrscheinlichkeit, die verzögerte Sprachentwicklung bis zum 3. Geburtstag von alleine aufzuholen. Das Schwierige dabei: Das Sprachverständnis ist auf den ersten Blick gar nicht so leicht zu erkennen.

Hier ist ein Beispiel: Die Eltern der zweijährigen Lissi gehen zur Haustür und rufen: „Komm‘ Lissi, wir gehen zur Oma!“ Lissi läuft direkt in den Flur und holt ihre Schuhe. Die Eltern schauen sich erleichtert an: „Siehst du, sie versteht jedes Wort.“

Hat Lissi tatsächlich jedes Wort verstanden? Vielleicht ja.

Oder Lissi hat das Wort „Oma“ verstanden und verknüpft: „Immer, wenn Mama „Oma“ sagt und zur Tür geht, dann gehen wir zu Oma. Dafür brauche ich meine Schuhe.“

Vielleicht hat Lissi beobachtet: Mama und Papa gehen zur Tür und rufen etwas. Weil sie diese Situation kennt, hat sie erraten, dass es jetzt nach draußen geht und sie dafür ihre Schuhe braucht.

Viele unserer Worte leiten bestimmte Rituale und Tagesabläufe ein, die immer wiederkehren. Das ist sehr gut und hilfreich, damit Kinder Wörter mit Leben füllen können und das Sprachverständnis wachsen kann. Aber es ist schwierig, aus der Reaktion des Kindes abzuleiten, wieviel es tatsächlich versteht.

Hinweise, dass dein Kind einzelne Wörter versteht, können zum Beispiel folgende Beobachtungen sein:

  • Sage zu deinem Kind „Möchtest du eine Banane?“ und halte ihm einen Apfel entgegen. Bemerkt dein Kind den Fehler?
  • Sage zu deinem Kind „Wo sind deine Schuhe?“, ohne zu den Schuhen zu schauen. Zeigt dein Kind trotzdem auf seine Schuhe?

Grund 3: Dein Kind kommuniziert noch nicht gezielt.

Nicht nur das Sprachverständnis ist eine Voraussetzung dafür, dass ein Kind beginnt zu sprechen. Genauso wichtig ist es, dass dein Kind Sprache als Werkzeug für sich entdeckt hat und seine Bedürfnisse und Wünsche gezielt mitteilen kann.

Diese sogenannte absichtsvolle Kommunikation entwickelt sich meistens mit ca. 9 Monaten. Bei manchen Late Talker-Kindern ist dieser Meilenstein der Sprachentwicklung noch nicht ausreichend entwickelt.

Hinweise, dass dein Kind absichtsvoll kommuniziert, können zum Beispiel folgende Beobachtungen sein:

  • Dein Kind bringt dir Gegenstände, die du dir anschauen sollst.
  • Dein Kind zeigt auf etwas, das es haben möchte und schaut dich dann auffordernd an.
  • Dein Kind nutzt Gesten und Gebärden zur Kommunikation.

Weitere Meilensteine der frühen Sprachentwicklung erkläre ich hier.

Grund 4: Familiäre Veranlagung

In Studien konnte herausgefunden werden, dass es bei vielen Late Talkern offenbar eine familiäre Veranlagung für die Entwicklung einer verzögerten Sprachentwicklung gibt.

Vermutet wird, dass eine etwas schwächere Verarbeitung für Sprache weitervererbt wird.

Gut zu wissen: Eine schwächere Sprachverarbeitung hat nichts mit der Intelligenz des Kindes zu tun! Manche Kinder brauchen einfach gezielte Sprachförderung und an einigen Punkten der Sprachentwicklung auch logopädische Therapie, damit sich die Sprache gut entwickeln kann.


In diesen Artikeln bekommst du weitere Infos zu Late Talkern:


Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wiebke Schomaker Logopädin

Hallo, hier schreibt Wiebke!

Ich bin Logopädin, Autorin dieses Blogs und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.

Viel Spaß beim Lesen! 🤩

Nach oben scrollen