Late Talker fördern

Late Talker: Kann ich mein Kind zu viel fördern?

Wenn Kinder spät anfangen zu sprechen, dann bekommen Eltern viele Tipps und Ratschläge. Aber was hilft wirklich, damit mein Kind zu sprechen beginnt? Kann ich auch zu viel fördern? Und was mache ich, wenn mein Kind mehrsprachig aufwächst?

Über diese und weitere Fragen habe ich mich mit Dani Cullen unterhalten. Sie ist selbst zweisprachig aufgewachsen und hat als akademische Sprachtherapeutin gleichzeitig eine professionelle Perspektive auf das Thema Late Talker und Mehrsprachigkeit. 

Hallo Dani, wer bist du und was machst du beruflich?

Hallo Wiebke, vielen Dank, dass wir dieses Interview gemeinsam machen!
Ich bin Dani Cullen und bin akademische Sprachtherapeutin. Ich habe mich auf Sprachentwicklungsverzögerungen, Late Talker und die frühkindliche Sprachentwicklung spezialisiert. Im Rahmen meiner Arbeit coache ich Eltern darin, ihre Kinder sprachlich zu fördern und ihnen so zu helfen, sprechen zu lernen.

Was sind Late Talker?

Late Talker sind Kinder, die mit 24 Monaten weniger als 50 Wörter sprechen und diese Wörter noch nicht kombinieren. Diese Sprachentwicklungsverzögerung kann bei Late Talkern nicht auf eine bestimmte Ursache zurückgeführt werden – zum Beispiel auf eine Behinderung. Bei ihnen ist nur die Sprachentwicklung verzögert; in allen anderen Bereichen verläuft die Entwicklung altersgemäß.

Mehr Infos zu Late Talkern findest du hier.

Wie kommt es, dass du dich besonders mit der Elternberatung und Sprachförderung von Late Talkern beschäftigst?

Die sprachtherapeutische Arbeit mit Late Talkern hat mir auch vor meiner Selbständigkeit große Freude bereitet. Jedoch fand ich frustrierend, wie langsam die Fortschritte in vielen Fällen waren. Umso mehr ich die Eltern in die Therapie einbezogen habe und ihnen gezeigt habe, wie der Spracherwerb funktioniert und wie sie ihre Kinder fördern können, umso schneller ging es voran.

Mit dem dritten Geburtstag endet die sprachsensible Phase. Das ist die Zeit, in der das kindliche Gehirn besonders empfänglich für sprachlichen Input ist. Studien konnten zeigen, dass der Einfluss von Eltern in dieser Zeit besonders groß ist und dass die Sprachförderung durch die Eltern – unter professioneller Anleitung – sehr effektiv ist. Die Wissenschaft unterstützt also genau das, was ich auch im Praxisalltag beobachten konnte.

Wenn Kinder sich nicht altersgemäß entwickeln, setzen Eltern sich selbst oft wahnsinnig unter Druck. Ihnen diesen Druck wieder zu nehmen und sie darin zu bestärken, dass sie nicht ausgeliefert sind und viel erreichen können, ist ein schönes Erlebnis.

Bei Kindern, die spät mit dem Sprechen beginnen, höre ich immer wieder den Satz: “Einfach abwarten! Das kommt schon noch.” Warum sollten Eltern deiner Meinung nach nicht “einfach abwarten”?

Leider wird dazu sehr häufig noch geraten. Der Rat zum Abwarten soll beruhigen. Aufgrund von der sprachsensiblen Phase, die circa mit dem dritten Geburtstag endet, kann ich das aber nicht empfehlen. Denn mit jedem Monat, der vergeht, wird wertvolle Zeit, in der die Förderung noch leicht ist, verpasst. Wer abwartet, macht es sich selbst schwer.

Das wird auch von der Forschung unterstützt: Nur ein Drittel der Late Talker holt von selbst auf. Die anderen zwei Drittel entwickeln eine Sprachentwicklungsstörung oder haben später andere sprachliche Schwierigkeiten. Die Effektivität von früher Sprachförderung und -therapie ist nachgewiesen.

Kann ich mein Kind auch zu viel fördern?

Jein. Von gelungener Sprachförderung gibt es kein “zu viel”. Denn Sprachförderung mit Late Talkern bedeutet, auf ihre Kommunikationsversuche einzugehen, mit ihnen bewusst mit unkomplizierten Sprachfördermethoden zu interagieren. Und gelungene Sprachförderung bedeutet auch, sein Kind mal in Ruhe spielen zu lassen. Denn das Spiel hängt eng mit dem Entdecken von Sprache zusammen und ist damit ein essentieller Bestandteil der Sprachförderung.

Wenn die frühe Sprachförderung aber missverstanden wird und sie in Form von Druck oder als Schreibtischarbeit umgesetzt wird, gibt es definitiv ein “zu viel”.
Deswegen ist die Anleitung durch eine Expert*in so wichtig.

Was denkst du? Ist es für Late Talker überfordernd, mehrsprachig aufzuwachsen? Eltern, die ihr Kind mehrsprachig erziehen, bekommen immer wieder den Ratschlag, sich auf eine Sprache zu beschränken, wenn ihr Kind spät spricht. Das verunsichert natürlich sehr.

Die Unsicherheit kann ich gut nachvollziehen. Auch dieser Rat, sich in dem Fall auf eine Sprache zu beschränken, wird leider noch häufig erteilt. Es ist für Kinder nicht überfordernd, mehrsprachig aufzuwachsen. Auch nicht für Late Talker. In diesem
Sprachentwicklungsstadium geht es weniger darum, eine bestimmte Sprache zu lernen, sondern den Zweck von Sprache und Kommunikation zu entdecken.

Man weiß mittlerweile, dass mehrsprachige Kinder nicht häufiger Late Talker sind als einsprachige. Weil der Mythos, die Mehrsprachigkeit könnte schuld daran sein, sich aber so hartnäckig hält, werden die Eltern oft mit dem Rat vertröstet, sich auf eine Sprache zu beschränken. Was diese Kinder aber wirklich bräuchten, ist Sprachförderung.

Viele Eltern wissen nicht genau, wie sie mit der Sprachförderung starten sollen. Hast du einen Tipp, wie Eltern beginnen können, ihr Kind beim Sprechen erster Wörter zu unterstützen?

Beobachte dein Kind. Wie kommuniziert es? Verwendet es Gesten, um auf bestimmte Dinge aufmerksam zu machen? Oder nimmt es dich vielleicht an der Hand und zieht dich an einen Ort, um dir etwas zu zeigen, dass es noch nicht sagen kann? Es ist wichtig, auf diese Kommunikationsversuche einzugehen und dabei zugewandt zu sein. 

Dann kannst du deinem Kind genau die Wörter geben, die es in dem Moment verwenden würde, wenn es schon könnte. Zum Beispiel:

Dein Kind zeigt beim Essen auf die Nudeln.
Dann sagst du: “Nudeln! Möchtest du noch mehr Nudeln?”
Du könntest auch noch länger im Dialog bleiben und warten, bis dein Kind auf die Frage reagiert. Dann sagst du etwas wie: “Hier ist noch mehr. Ich möchte auch noch mehr! Die sind richtig gut. Hmmm!”

Wenn dein Kind noch nicht spricht, bedeutet das nicht, dass du dich nicht mit ihm
unterhalten kannst. Aber wichtig ist dabei, dass du ihm auch Zeit gibst, zu antworten. Die Antwort muss nicht aus Wörtern bestehen.

Du bietest ein Coaching für Eltern an. Was genau kann man bei dir lernen?

In meinen Coachings und in meiner Audiokursmitgliedschaft – dem Pocketcoaching Late Talker – lernen Eltern, wie sie ihre Kinder genau da abholen können, wo sie in ihrer Sprachentwicklung gerade stehen. Sie lernen Fördermethoden, die sie ganz unkompliziert in ihren Alltag integrieren können und bekommen konkrete Beispiele, wie sie die Methoden umsetzen können.

Vielen Dank für dieses spannende Gespräch, Dani!

Dani Cullen ist akad. Sprachtherapeutin und berät Eltern von Late Talkern.

Interessierte Eltern können Dani auf ihrer Website www.danicullen.de finden. Auf Instagram  @danicullenelterncoaching finden sie außerdem zahlreiche kostenlose Tipps und Fakten zu Late Talkern und der frühkindlichen Sprachentwicklung.

Hier gibt es weitere Infos und Tipps über Late Talker und Sprachentwicklung:

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Wiebke Schomaker Logopädin

Hallo, hier schreibt Wiebke!

Ich bin Logopädin, Autorin dieses Blogs und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.

Viel Spaß beim Lesen! 🤩

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