Dein Kind lispelt? Dann stellst du dir bestimmt folgende Fragen:
- Geht Lispeln von alleine wieder weg?
- Warum lispelt mein Kind überhaupt?
- Ab wann sollte das Lispeln behandelt werden?
Inhalt des Artikels
Was ist Sigmatismus?
Sigmatismus ist der medizinische Fachbegriff für Lispeln und beschreibt die häufigste Artikulationsstörung bei Kindern: Untersuchungen zeigen, dass bis zu 30% aller Kinder mit 5 Jahren den S-Laut fehlerhaft bilden. Auch viele Erwachsene lispeln.
Beim Lispeln (Sigmatismus) wird kein Laut ersetzt wie zum Beispiel beim Schetismus, sondern der Laut wird falsch gebildet. Dies sind die drei häufigsten Sigmatismusformen:
- Sigmatismus interdentalis: Die Zunge ist beim Sprechen des S-Lautes zwischen den Zähnen.
- Sigmatismus addentalis: Dabei stößt die Zunge beim S-Laut an die Zähne, so dass der Laut „nicht ganz sauber“ klingt.
- Sigmatismus lateralis: Die Luft entweicht an den Seiten der Zunge. Dabei entsteht ein „schlürfendes“ Geräusch.
Welche Ursachen hat Lispeln?
1. Lispeln als Angewohnheit
Der S-Laut ist ziemlich schwer zu bilden, da er eine feine Muskelspannung benötigt. Viele Kleinkinder lispeln deshalb. Einige Kinder behalten dieses Sprechmuster aus der frühen Kindheit bei. Das Lispeln ist in diesem Fall also eine Angewohnheit – oder in Fachdeutsch: ein falsch erworbenes Artikulationsmuster.
2. Lispeln aufgrund eines falschen Schluckmusters
Bei manchen Kindern wird Lispeln durch ein falsches Schluckmuster verursacht. Bei dieser sog. myofunktionellen Störung rutscht die Zunge nicht nur beim Sprechen gegen oder zwischen die Zähne, sondern auch beim Schlucken.
Da nicht nur Nahrung, sondern auch 1-2x pro Minute Speichel geschluckt wird, drückt die Zunge bei einer myofunktionellen Störung täglich sehr oft gegen die Zähne. Dadurch verschieben sich nach und nach die vorderen Schneidezähne – ein offener Biss entsteht.
Hinweise für eine myofunktionelle Störung können neben dem Lispeln sein:
- Es wird oft durch den Mund geatmet statt durch die Nase (auch ohne Erkältung).
- Die Gesichtsmuskulatur wirkt schlaff, der Mund steht häufig offen und auch die Körperspannung ist eher niedrig.
- Die oberen Schneidezähne sind nach vorne geschoben (offener Biss).
- Die Zunge hat an der Seite Eindrücke der umliegenden Zähne.
- Das Kind spricht undeutlich („verwaschen“), obwohl es (fast) alle Laute sprechen kann.
3. Lispeln aufgrund von Paukenergüssen
Bei Mittelohrentzündungen oder bei einer stark vergrößerten Rachenmandel („Polypen“) entsteht ein Paukenerguss im Mittelohr, so dass ein Kind wochenlang (manchmal monatelang) schlechter hört. Vor allem die hochfrequenten Zischlaute werden oft nicht genau genug wahrgenommen. Manche Kinder speichern diesen ungenauen Höreindruck, auch wenn sie wieder gut hören können.
4. Lispeln aufgrund von Schnuller, Daumenlutschen und Co.
Der Schnuller oder Daumen im Mund drückt die Zunge nach unten. Sie kann nicht ihre eigentliche Lage im Mund einnehmen. Normalerweise befindet sich nämlich die Zunge oben am Gaumen, wenn wir nicht sprechen oder essen.
Diese veränderte Ruhelage kann sich auf die Zungenmuskulatur auswirken: Die Muskeln der Zunge sind dann schlaffer und können den S-Laut nicht mehr so fein bilden. Mehr zum Thema Schnuller findest du in meinem Artikel „Wie schädlich ist der Schnuller?“
Auch ein zu großes Loch im Sauger einer Milchflasche kann ein Lispeln mit falschem Schluckmuster bewirken: Wenn zu viel Milch in den Mund fließt, geht die Zunge des Säuglings automatisch nach vorne, um den Milchfluss zu stoppen – eine nach vorne gerichtete Zungenbewegung beim Schlucken ist die Folge. Passiert das über Monate, gewöhnt sich das Kind diese falsche Schluckbewegung an.
Geht Lispeln von alleine wieder weg?
Wenn ein Kleinkind lispelt und keine Hinweise auf eine myofunktionelle Störung vorhanden sind, ist es möglich, dass das Lispeln innerhalb der ersten 4 Lebensjahre von alleine weniger wird oder ganz verschwindet. Danach ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass sich ein Kind ohne logopädische Therapie das Lispeln abgewöhnt. Denn das Artikulationsmuster verfestigt sich mit zunehmendem Alter immer mehr.
Oft wird geraten, den Zahnwechsel abzuwarten, weil gehofft wird, dass durch eine veränderte Situation im Mundraum das Lispeln verschwinden könnte. Das ist meiner Erfahrung nach nur selten der Fall – denn die Ursachen des Sigmatismus bleiben auch nach dem Zahnwechsel bestehen.
Ab wann ist logopädische Therapie beim Lispeln nötig?
Bei einem Kind, das lispelt, ist es wichtig, genauer hinzuschauen, welche Ursache fürs Lispeln verantwortlich ist.
Ein falsches Schluckmuster sollte rechtzeitig behandelt werden, um Zahnfehlstellungen bei den bleibenden Zähnen zu vermeiden – in diesem Fall ist es also sogar wichtig, schon vor dem Zahnwechsel mit einer myofunktionellen Therapie in einer logopädischen Praxis zu starten.
Falls das Lispeln eine bloße Angewohnheit aus Kleinkindzeiten ist, ist eine logopädische Therapie ab ca. 5 Jahren gut möglich. Aber auch Jugendliche und Erwachsene mit Sigmatismus können mit den richtigen Übungen erfolgreich ihr Lispeln loswerden.
Wichtig ist, dass ein Kind motiviert ist, am Lispeln zu arbeiten. Das ist bei jüngeren Kindern nicht immer der Fall, denn das Lispeln schränkt sie ja nicht in der Verständlichkeit ein. Logopäd*innen sind aber Profis darin, Therapieinhalte interessant zu verpacken. Viele Kinder sind daher nach anfänglicher Skepsis mit Begeisterung dabei.
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1 Kommentar zu „Sigmatismus: Warum Kinder lispeln und ab wann du handeln solltest“
Ich möchte meine Zahnfehlstellung korrigieren lassen. Interessant, dass der offene Biss durch eine myofunktionelle Störung entsteht. Das habe ich nicht gewusst.
Hallo, hier schreibt Wiebke!
Ich bin Logopädin, Autorin dieses Blogs und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.
Viel Spaß beim Lesen! 🤩