Was ist eine myofunktionelle Störung?

Was ist eine Myofunktionelle Störung?

Bei einer Myofunktionellen Störung (MFS) ist der Gebrauch der Muskeln im Mundbereich und oft auch die Wahrnehmung im und am Mund auffällig. 

Die Leitsymptome bei einer Myofunktionellen Störung sind:

  • Offene Mundhaltung
  • Mundatmung
  • Falsche Zungenruhelage: Die Zunge liegt unten im Mund und nicht oben am Gaumen.
  • Schlucken mit der Zunge gegen die Zähne statt nach oben gegen den Gaumen

Dadurch können Zahnfehlstellungen (offener Biss) und eine veränderte Kieferform entstehen. Bei manchen Kindern entwickelt sich durch die Myofunktionelle Störung auch ein Lispeln (Sigmatismus) oder insgesamt eine undeutliche Artikulation.

Alternative Begriffe sind: Orofaciale Dysfunktion (OFD), Orofaciale myofunktionelle Störung (OMS)

 

Diese Beobachtungen können (müssen aber nicht) auf eine Myofunktionelle Störung hinweisen:

  • Der Mund steht häufig offen. 
  • Die Zunge liegt häufig unten im Mund.
  • Häufiges Speicheln, auch wenn die Milchzähne schon da sind.
  • Vermeiden von harten Nahrungsmitteln.
  • Mit offenem Mund kauen oder es wird „wie ein Nussknacker“ gekaut statt mit Mahlbewegungen
  • Die oberen Schneidezähne sind nach vorne geschoben (offener Biss).
  • Der Kiefer ist schmal, so dass nicht alle Zähne Platz haben.
  • Undeutliche Aussprache (es wird „nuschelig“ gesprochen)
  • Lispeln 
Mundatmung
Hinweise auf eine Myofunktionelle Störung: Die Muskulatur rund im den Mund wirkt schlaff, häufig steht der Mund offen und die Zunge kommt nach vorne.

Was sind Ursachen für eine Myofunktionelle Störung?

Bei vielen Kindern (oder auch Erwachsenen) bleibt die Ursache für die Myofunktionelle Störung unklar. Fünf häufige Ursachen erkläre ich hier genauer:

1. Häufige Erkältungen und Polypen

Viele Kinder im Kindergartenalter sind über Monate hinweg immer wieder erkältet und/oder haben eine vergrößerte Rachenmandel (oft umgangssprachlich„Polypen“ genannt). Beides verhindert, dass das Kind durch die Nase atmen kann. Die ständige Mundatmung bewirkt, dass die Zunge unten am Mundboden liegen muss und sich das Schlucken verändert.

Lesetipp für weitere Infos: Paukenerguss und Polypen – Wie sie die Sprachentwicklung beeinflussen

 

2. Schnuller, Daumenlutschen und Schnabeltassen

Auch Daumenlutschen oder der Schnuller können bei langjähriger und häufiger Nutzung eine myofunktionelle Störung verursachen.
Der Daumen bzw. Schnuller im Mund bewirken, dass die Zunge nach unten gedrückt wird statt oben am Gaumen zu liegen. Im Artikel „Wie schädlich ist der Schnuller?“ erfährst du mehr über diese Zusammenhänge.

Eine ähnliche Wirkung haben Schnabeltassen, auch hier liegt der Schnabel so im Mund, dass die Zunge sich beim Schlucken nicht zum Gaumen bewegen kann.

Wie kann ich nachts den Schnuller abgewöhnen?
Die Wirkung des Schnullers auf Mund und Zunge

3. Kein oder kurzes Stillen

Das Saugen an der Brust ist optimal für die Mundentwicklung. Bei einer Flaschenernährung fehlt diese Stimulation für die Mund- und Zungenentwicklung. Zusätzlich können ungünstige Flaschensauger (mit zu großem Loch) bewirken, dass die Zunge gegen den Sauger drückt statt nach oben. 

4. Sehr kurze orale Phase

Der Mund ist das erste Wahrnehmungsorgan, mit dem ein Baby Gegenstände erkundet.

Im ersten und zweiten Lebensjahr sind Babys in der sogenannten oralen Phase. Alle Gegenstände, die das Baby greift, werden sofort in den Mund gesteckt und intensiv erkundet. Das Erkunden mit dem Mund dient der Wahrnehmungsentwicklung im Mundbereich. Diese Wahrnehmung ist grundlegend für eine ausbalancierte Funktion der Mund- und Zungenmuskeln.

Wenn ein Baby wenig mit dem Mund erkundet hat, fehlen diese Sinneseindrücke. Bei manchen Kindern wirkt sich dies durch eine Über- oder Unterempfindlichkeit im Mundbereich aus und die Mundentwicklung wird ungünstig beeinflusst.

5. Ein zu kurzes Zungenband

Das Zungenband befindet sich unterhalb der Zunge. Manchmal ist es so kurz, dass die Zunge sich nur eingeschränkt bewegen kann und die Bewegungen beim Kauen, Schlucken und Sprechen nicht mehr reibungslos ausgeführt werden können.

Ein zu kurzes Zungenband kann in jedem Alter mithilfe einer kleinen OP, der Frenotomie, getrennt werden. Sehr wichtig ist eine gute Vor- und Nachbereitung der Frenotomie zum Beispiel durch ausgebildete Stillberaterinnen oder Logopädinnen, um die Wundheilung und anschließende Zungenfunktion zu verbessern. Weitere Infos zum verkürzten Zungenband bekommst du auf der sehr informativen Seite von DEFAGOR (Deutsche Gesellschaft zur Behandlung oraler Restriktionen).

das Zungenband bei Kindern
Das Zungenband kann verkürzt sein und dadurch die Beweglichkeit der Zunge einschränken.

Wie kann verhindert werden, dass ein Kind eine Myofunktionelle Störung entwickelt?

Einige Ursachen wie häufige Erkältungen, Allergien oder eine vergrößerte Rachenmandel lassen sich nicht immer beeinflussen. Meist spielt auch die familiäre Veranlagung eine Rolle, ob sich eine Myofunktionelle Störung entwickelt (zum Beispiel bei zu kurzem Zungenband). Und auch bei bestimmten Syndromen, z.B. Trisomie 21, sind Auffälligkeiten im Mundbereich häufig – eine frühe logopädische Therapie schon im Säuglingsalter kann hier sehr unterstützen.

Beeinflussbar sind bei Babys und Kleinkindern vor allem:

  • dass viel Gelegenheit zum Erkunden mit dem Mund (orale Exploration) gegeben wird

    dass ein passender Flaschensauger (kleines Saugloch, großes Nasenschild) gewählt wird, falls nicht oder nicht voll gestillt wird

  • dass der Schnuller nur bei Bedarf gegeben wird und nicht ständig über mehrere Jahre (ich weiß, dieser Punkt ist oft leichter gesagt als getan – manchmal ist der Schnuller als Regulationshilfe einfach sehr wichtig)

  • dass zum Trinken ein normaler Becher und keine Schnabeltasse verwendet wird

  •  dass nicht nur Brei gefüttert wird, sondern dass ein Baby und Kleinkind die Nahrung selbst erkunden und selbstbestimmt essen kann (mehr Infos: Baby-led-Weaning).

Was du tun kannst, wenn du Hinweise für eine Myofunktionelle Störung bei deinem Kind bemerkst

Ärztliche Beratung

Wichtig ist, herauszufinden, ob medizinische Ursachen hinter der Mundatmung stehen, zum Beispiel vergrößerte Rachenmandeln (Polypen). Ansprechpartner sind: HNO-Ärzte, Kinderärztin*innen, Zahnmedizin und Kieferorthopädie.

Logopädische Therapie

In der logopädischen Therapie wird mit deinem Kind geübt, durch die Nase zu atmen, die Zunge an der korrekten Ruheposition zu halten und mit der richtigen Zungenbewegung zu schlucken.

Spielideen für zu Hause

Zusätzlich zur logopädischen Therapie oder auch zu Hause kannst du die Mundentwicklung deines Kindes spielerisch unterstützen. Zum Beispiel so:

  • Verschiedene Nahrungsmittel erkunden 
  • Formen aus Möhren schneiden und mit der Zunge / im Mund erraten
  • Salzstange ohne Hände essen
  • mit Lippenstift Kussmünder auf Papier drücken
  • Puffreis mit der Zungenspitze aufsammeln
Eine kleine Idee, um die Wahrnehmung der Zunge zu fördern: Ein Apfelstück in interessante Formen schneiden

Konnte ich deine Fragen beantworten? Schreibe mir gerne einen Kommentar, wenn noch Fragen offen sind oder du etwas ergänzen möchtest. 

6 Kommentare zu „Was ist eine Myofunktionelle Störung?“

  1. Jetzt verstehe ich, dass eine Myofunktionellen Störung durch das falsche Schlucken kommt. Ich hätte nicht gedacht, dass es so einen großen Unterschied gibt wo die Zunge während dem Schlucken hindrückt. Erstaunlich, dass das auch zu Zahnfehlstellungen kommen kann. Die muss man dann auch wieder behandeln.

    1. Ja, das finde ich auch immer wieder erstaunlich, wie viel Kraft die Zunge haben kann. Es freut mich, wenn der Artikel weiterhelfen konnte.
      Herzliche Grüße
      Wiebke

  2. Gut zu wissen, dass sich das infantile Schluckmuster normalerweise mit 4 bis 6 Monaten verändert. Mein Kind hat ebenfalls eine Schluckstörung entwickelt und ich möchte mit ihr eine Therapie dafür machen. Am besten besuchen wir die Tage eine Praxis für Logopädie.

  3. Interessant, dass das infantile Schluckmuster Schuld für eine myofunktioenlle Störung ist. Bei meinem Sohn wird vermutet, dass er das auch hat und wir haben nächste Woche einen Termin in einer Praxis Kieferorthopädie. Vielen Dank für die Informationen.

    1. Hallo Clara, ich freue mich, dass ich dir mit den Infos weiterhelfen konnte. Alles Gute für Euren Termin in der Kieferorthopädie. Ideal ist bei vielen Kindern parallel eine logopädische Therapie, da die Zunge sonst weiter gegen die Schneidezähne drückt und gegen die Wirkung der Zahnspange arbeitet.
      Liebe Grüße
      Wiebke

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Wiebke Schomaker Logopädin

Hallo, hier schreibt Wiebke!

Ich bin Logopädin, Autorin dieses Blogs und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.

Viel Spaß beim Lesen! 🤩

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