Suchst du nach Tipps zur Sprachförderung, hörst aber immer nur die gleichen Ratschläge wie „Sprich mehr mit deinem Kind“ oder „Lies deinem Kind Bücher vor“?
Dann ist dieser Artikel für dich. Denn ich habe 8 Expertinnen nach ihrem besten Tipp zur Sprachförderung gefragt – und herausgekommen ist eine Schatzkiste, gefüllt mit fundierten und alltagstauglichen Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen wirklich unterstützen kannst.
Was alle Tipps gemeinsam haben? Du musst nichts „extra machen“. Es geht eher um kleine Veränderungen in eurem Alltag und in deinen Sprechgewohnheiten.
Die Tipps eignen sich sowohl für Late Talker als auch für Kleinkinder mit altersgemäßer Sprachentwicklung.
Inhalt des Artikels
1. Sprich weniger
empfiehlt die Sprachtherapeutin Dani Cullen. Sie sagt: „Wenn du selbst weniger sprichst, kannst du dein Kind dazu animieren, mehr zu kommunizieren und seine Sprechfreude stärken – die Grundlage für jede erfolgreiche Sprachförderung.
- Für die Kleinen: Zeig deinem Kind einen Gegenstand und sag nichts. Lächle dein Kind erwartungsvoll an und reagiere in kurzen Sätzen darauf, wie dein Kind mit dem Gegenstand interagiert oder was es äußert.
- Für die Größeren: Stell deinem Kind eine kurze Frage, die du sonst nicht stellst, z. B.: „Was war das Lustigste, das dir heute passiert ist?“ Warte, bis dein Kind fertig gesprochen hat und gib ihm dann noch ein paar Sekunden Zeit, falls es noch etwas sagen möchte. Reagiere erst dann.“
Dani Cullen ist akad. Sprachtherapeutin und Coach für Eltern von Late Talkern. In ihrem Workbook für 0€ „Checklisten zur Sprachentwicklung“ bekommst du einen Überblick, ob dein Kind Sprachförderung braucht.
2. Mache Bücher lebendig
ist der Tipp der Sprachtherapeutin Marion Schmitz. Sie empfiehlt, Gesten, Geräusche und Lautmalereien zu nutzen, um die Sprache im Buch lebendig werden zu lassen, zum Beispiel so:
- Tue zum Beispiel so, als würdest du die Leckereien essen, die im Buch abgebildet sind und schmatze dabei: „Nam-nam, essen… ich esse jetzt das Eis.“
- Kitzele die Füße einer Figur im Buch und sage: „Hihi, kitzeln… ich kitzele die Füße… ich kitzele die Füße von der Maus.“
- Versuche, die Wolken vor der abgebildeten Sonne weg zu pusten: „Pft, pusten… ich puste die Wolken weg… ich puste ganz doll.“
- Imitiere die Tiere, die im Buch abgebildet sind und mache die passenden Geräusche/Lautmalereien dazu. Kitzele dir zum Beispiel unter den Armen, wenn da ein Affe abgebildet ist und sage: „U-u-u, der Affe… da ist der Affe… der Affe schwingt von Baum zu Baum.“
- Nutze passende Gegenstände/Spielzeuge, die im Buch abgebildet sind und baue sie mit ein. Vielleicht hat dein Kind eine ähnliche Tierfigur oder ein ähnliches Fahrzeug, das im Buch abgebildet ist. Lass dein Kind zum Beispiel mit seinem Auto über die Straße im Buch fahren und sage: „Brumm-brumm, dein Auto… dein Auto fährt über die Straße… dein Auto fährt schnell.“
Marion Schmitz ist Erzieherin, Sprachtherapeutin und Gründerin von Montima – Sprachschatz entwickeln. Sie bietet Sprachförder-Coaching für Eltern an. Mehr Infos findest du auf ihrer Website www.montima.de.
3. Lobe die Anstrengung und nicht die Leistung
sagt die Logopädin Diana Bangratz. Warum es wichtig ist, die Anstrengung zu loben, erklärt Diana so:
„Unser Gehirn lernt tatsächlich nur, wenn das Belohnungszentrum aktiviert wird. Belohnung meint in der Hirnforschung, dass etwas passiert, das besser ist als man es erwartet hatte. Und genau dann lernt das Gehirn.
In unserer Gesellschaft wird nur die Leistung gelobt und nicht die Anstrengung. Ein Kind mit Behinderung wird, wenn man danach geht, weniger gelobt. So lernen diese Kinder häufig, dass sich Anstrengung sowieso nicht lohnt. Dieses Erleben muss durchbrochen werden. Gelobt werden muss auch die Anstrengung und nicht nur die Leistung.“
Diana Bangratz ist Logopädin und hat sich auf die Sprachtherapie von Kindern mit Down-Syndrom spezialisiert. Viele weitere Tipps zur Sprachförderung und -therapie bei Kindern mit Trisomie 21 findest du auf Dianas Instagramkanal @t21_we_learn.
4. Fördere durch Rituale
empfiehlt die akademische Sprachtherapeutin Niloufar Jamali: „Rituale vermitteln Geborgenheit, Verlässlichkeit und geben dem Kind Sicherheit und Halt. Die wiederkehrenden Ereignisse können zur sprachlichen Förderung genauso dienlich sein wie auch zur Stärkung der gemeinsamen Bindung. Eine Geschichte vorlesen, ein ruhiges Lied oder eine Massage zur Förderung der Körperwahrnehmung und zur Regulierung des vegetativen Nervensystems.
Auch Kindern mit Mutismus, Hochsensibilität oder Restreaktionen frühkindlicher Reflexe können Rituale helfen, sich besser auf die Situationen einzulassen und sie mutig zu meistern.“
Niloufar Jamali ist akad. Sprachtherapeutin, Rehabilitationspädagogin und Expertin für Mutismus und Hochsensibilität. Auf ihrer Website www.winmut.de findest du weitere Informationen und Möglichkeiten zur Fortbildung für Fachpersonen.
5. Kommuniziere mit Gebärden
ist der Sprachfördertipp von Katharina van der Veen, Erziehungswissenschaftlerin und Expertin für mehrsprachige Erziehung.
Sie erklärt: „Mit den Händen „sprechen“ bis es mit den Worten klappt – das ist das Prinzip vom Gebärden mit Kindern. Ein Baby winkt dir zu und du verstehst sofort, dass es dir „Hallo“ damit sagt. Babys und Kleinkinder können aber noch mehr als nur winken, wenn wir Eltern ihnen weitere Gebärden anbieten. Wenn wir Sprache mit Gebärden verknüpfen, ermöglicht dies den Kindern, die Gebärden zu übernehmen, bis sie die Worte dazu sprechen können. So kann das Kind dir mitteilen, dass es ESSEN will, eine KATZE gesehen hat oder SCHLAFEN möchte, noch bevor es sprechen kann.
Besonders für mehrsprachige Familien sind Babygebärden ein großer Gewinn. Denn sie bringen nicht nur Spaß und erleichtern die Kommunikation, sondern bilden auch eine Brücke zwischen den verschiedenen Sprachen. Jeder Elternteil spricht in seiner Sprache, beide zeigen aber die gleiche Gebärde. Das unterstützt die Mehrsprachigkeit des Kindes von Anfang an.“
Katharina van der Veen ist Erziehungswissenschaftlerin und Expertin für mehrsprachige Erziehung.
Hier findest du ihre 5 Tipps für die mehrsprachige Erziehung für 0€.
6. Sprich in der Sprache, in der du dich sicher fühlst
empfiehlt die Logopädin und Lerntherapeutin Stefanie Munoz allen mehrsprachigen Familien: „Monolingual aufwachsende Kinder sprechen sowohl innerhalb der Familie so wie auch im Sprachumfeld die gleiche Sprache. Prozentual verringert sich dieser Anteil jedoch zunehmend.
Durch politische Umstände sind Familien gezwungen umzuziehen, dadurch verändert sich die Umgebungssprache. Papa und/ oder Mama sprechen unterschiedliche Sprachen. Durch diese Vielfältigkeit sind die Eltern manchmal verunsichert, wie sie mit ihrem Kind sprechen sollen. Schließlich soll sich der Junior auch im Kindergarten und der Schule mitteilen können.
Kinder lernen Sprachsysteme unabhängig von der Anzahl. Eine Sprachstörung entwickelt sich auch nicht, wenn die Familie eine andere Sprache spricht als diese, die im Kindergarten oder der Schule gesprochen wird. Da Kinder immer am Modell lernen, sollte das Sprachangebot jedoch grammatisch und lexikalisch sicher sein. Also sollte jeder in seiner sicheren Sprache sprechen dürfen.“
Stefanie Munoz ist Logopädin und Lerntherapeutin in eigener Praxis in der Nähe von Heidelberg. Dort behandelt sie Erwachsene und Kinder. Mehr Infos findest du auf Stefanies Website www.logopaedie-munoz.de.
7. Nutze alle Sinne
sagt die Logopädin Katja Ebeling. Denn, so erklärt sie:
„Das Erlernen von Worten ist keine isolierte Fähigkeit, die sich einzig und allein auf den reinen Sprechakt bezieht. Das Entdecken von Sprache und Sprechen ist vielmehr als ein ganzheitlicher, komplexer Entwicklungsprozess zu betrachten, der als solches unterstützt werden darf.
Klingt kompliziert? Ist es nicht! Anstatt mit deinem Kind das Holzobst zu zerschneiden, bereitet doch beispielsweise gemeinsam einen Obstsalat zu. Dein Kind sieht die Farben, fühlt die Konsistenzen, nimmt Gerüche und Geschmäcker wahr und dabei entsteht ein natürlicher Sprachgebrauch deinerseits, indem du benennst, was dein Kind sieht und tut.
Aufgrund dieser ganzheitlichen Erfahrung wird dein Kind eher das Wort „Apfel“ lernen, als wenn es den Apfel in Form eines Holzspielzeuges benutzt.
Probier`s mal aus, ganz nach dem Motto: „Sinne schaffen Sinn.“
Katja Ebeling ist Logopädin mit mehrjähriger Weiterbildung in sensorischer Integration und interdisziplinäre Fachkraft für Säuglinge und Kleinkinder. Viele Infos dazu bekommst du auf Katjas Instagramkanal @logopaedie_neu_denken.
8. Hab' Spaß
ist der Tipp von Logopädin Jennifer Wodicka. Denn: „Das kindliche Gehirn will sprechen lernen, und das geht am besten, wenn es Spaß macht. Wenn dein Kind Spaß an einem Spiel hat, wird Dopamin ausgeschüttet – ein Lernbooster für die Sprachentwicklung. Wenn dein Kind mit dir spielt und du richtig Spaß hast, dann wird nicht nur Dopamin ausgeschüttet, sondern auch das Bindungshormon Oxytocin – ein noch viel stärkerer Lernbooster.
Unterstütze die Sprachentwicklung deines Kindes, indem du ein Spiel kreierst, das dir selbst richtig viel Spaß macht. Werde dabei selbst zum Kind und beobachte, was sich verändert. Frage dich: „Was hat dir als Kind richtig Spaß gemacht?“ Die Antwort darauf setzt du direkt um :-).“
Jennifer Wodicka ist Logopädin und erstellt Kurse und Spielideen für Therapeut*innen und Eltern. In ihrem Shop „Klipp und Klar“ findest du eine Übersicht ihrer Produkte.
Fazit: Was kennzeichnet gute Tipps zur Sprachförderung?
Die 8 Expertinnen-Tipps klingen einfach umsetzbar für dich? Super, denn genau das kennzeichnen gute Ideen zur Sprachförderung: Sie sind
- einfach
- setzen dich und dein Kind nicht unter Druck
- unterstützen eure Bindung
- und machen Spaß
Wichtig ist mir noch zu sagen, dass für Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen Sprachfördertipps allein nicht ausreichen. Sie brauchen individuell passende logopädische Therapie. Dieser Hinweis ist mir so wichtig, weil ich immer wieder bemerke, dass viele Eltern beim Hören von Tipps Schuldgefühle entwickeln. Dahinter steckt oft der Gedanke: „Wenn es so viele Tipps gibt, wie ich es besser machen kann, dann scheine ich ja viel falsch gemacht zu haben, wenn mein Kind nicht richtig spricht.“
Studien sagen ganz klar: Das Verhalten von Eltern verursacht keine Sprachentwicklungsstörungen (abgesehen von extremen Umständen). Trotzdem können Eltern viel dazu beitragen, ihr Kind beim Sprechen lernen zu unterstützen.
Liebe Grüße, Deine Wiebke
Lesetipps:
3 Strategien für erste Wörter: Das kannst du tun, wenn dein Kind noch nicht spricht
Logopädie-Leitfaden: 5 Ideen, wie du deinem Kind bei Aussprachefehlern helfen kannst.
4 Kommentare zu „Die 8 besten Tipps zur Sprachförderung“
Danke für den schönen Beitrag. Mein Sohn scheint eine kleinere Sprachstörung entwickelt zu haben. Ich weiß bisher nicht, was ich machen kann, aber die Tipps helfen mit bestimmt. Trotzdem möchte ich ein Termin für eine mögliche Therapie vereinbaren.
Liebe Leonie,
die Tipps aus dem Artikel sind Ideen, was du zu Hause tun kannst, um die Sprache zu fördern. Trotzdem ersetzen die Tipps keine logopädische Therapie, deshalb ist es eine sehr gute Idee, das du einen Termin in einer logopädischen Praxis vereinbaren möchtest. Ich wünsche dir und deinem Sohn alles Gute! LG Wiebke
Meine Tochter geht auch zur Logopädie. Ich wusste nicht, dass neben Dopamin auch das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet wird. Aber es ist auch nicht nur bei Kindern so, dass sie besser lernen und bei der Sache sind, wenn sie Spaß haben. Ich werde meine Kleine mal fragen, ob sie beim Logopäden auch Spaß hat.
Mein Sohn besucht seit Anfang des Jahres eine Praxis für Logopädie. Es lassen sich bereits viele tolle Fortschritte erkennen. Mit Sicherheit wurzeln die Fortschritte meines Sohnes auch in der positiven Bestärkung, zu der auch Diana Bangratz rät.
Hallo, hier schreibt Wiebke!
Ich bin Logopädin, Autorin dieses Blogs und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.
Viel Spaß beim Lesen! 🤩