Spielen oder lernen: So arbeitet eine Logopädin mit Kindern

Ein Kind kommt aus der logopädischen Therapie ins Wartezimmer gerannt. Die Eltern fragen das Kind: „Na, was hast du gemacht?“ Das Kind antwortet strahlend: „Die ganze Zeit gespielt!“

Immer nur spielen? Ja, in der logopädischen Kindersprachtherapie ist das Spiel das häufigste Medium, mit dem Therapieinhalte geübt werden. Aber während das Kind „einfach nur spielt“, passiert gleichzeitig noch viel mehr…

In diesem Blogartikel erkläre ich Hintergrundwissen zu häufigen Therapiemethoden von Logopäd*innen und gebe praktische Beispiele von vier Kindern aus dem logopädischen Therapiealltag.

Inhalt des Artikels

1. Inputspezifizierung: Spezialfutter fürs Gehirn

Es gibt verschiedene Therapiemethoden in der Behandlung von Sprachentwicklungsstörungen, die im Hintergrund laufen, während der Logopäde/die Logopädin vordergründig mit dem Kind spielt. 

Eine Methode ist die sog. Inputspezifizierung. Diese Methode ist eine Art Hörtraining: Das kindliche Gehirn hört dabei einen bestimmten Sprachinput besonders oft, so dass der nächste Entwicklungsschritt ausgelöst wird. Da die Verarbeitung für Sprache bei Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen oft eingeschränkt ist, brauchen sie besonders zielgenauen Hör-Input – also sozusagen „Spezialfutter fürs Gehirn“.

Klingt kompliziert? Hier erkläre ich dir dir diese Methode am Beispiel von Luna und von Simon:

Fallbeispiel 1: Simon vertauscht "t" mit "k"

Der vierjähriges Simon spricht den Laut „t“ in allen Wörtern als „k“ aus. Das klingt dann so: „Ich krinke kokal gerne Kee!“ (Ich trinke total gerne Tee.) Diese Art der Aussprachestörung nennt sich Phonologische Störung.

In der ersten Therapiephase lernt Simon, die Laute „t“ und „k“ voneinander zu unterscheiden. Denn bisher hat das Gehirn beide Laute in die gleiche „Schublade“ gesteckt. Es soll nun merken, dass diese zwei Laute nicht gleich sind und beide Laute getrennt abspeichern (erst in der zweiten Therapiephase wird das Sprechen geübt).

Simon ist Dinofan, deshalb hat er viel Spaß an folgendem Therapiesetting:

Logopädische Therapie bei Sprachentwicklungsstörungen SES
Lögopäd:innen sind sehr kreativ darin, die Vorlieben ihrer kleinen Patienten in die logopädische Therapie einzubauen. 😀

Simon hört von mir Silben wie „uk“, „ta“ oder „iko“ (das ist natürlich Dinosprache). Er soll ganz genau hinhören, welches Geräusch in den Silben versteckt ist. Ein „k“ oder ein „t“? Wenn Simon das Geräusch gehört hat, zeigt er dem Dino, welchen Schatzstein er fressen darf.

Fallbeispiel 2: Luna spricht keinen Akkusativ

Die fünfjährige Luna hat eine Sprachentwicklungsstörung im Bereich der Grammatik und spricht u.a. noch keinen Akkusativ. Sie sagt also zum Beispiel: „Hast du der Igel gesehen?“ oder „Ich klettere auf der Stuhl.“ 

In der Inputspezifizierung soll Luna den Akkusativ im Kontrast zum Nominativ ganz oft hören. Dazu spielen wir Quartett (im Foto mit einem Memory), bei dem folgender Dialog entsteht: 

Ich: „Hast du den Igel?“

Luna: „Ich hab der Igel nicht.“

Ich: „Den Igel hast du nicht? Schade. Wo ist bloß der Igel?“

Luna: „Gibst du mir der Frosch?“

Ich: „Den Frosch hab ich. Hier ist der Frosch!“

logopädische Therapie von Grammatikstörungen
Memory als Akkusativ-Quartett: In der logopädischen Therapie werden Spielregeln häufig angepasst, um ein Therapieziel zu erreichen.

Bei dieser Therapiemethode ist es egal, ob das Kind „richtig oder falsch“ spricht. Ich korrigiere nicht. Das Ziel ist, dass Luna die Wörter „der“ und „den“ bei mir ganz oft im Kontrast hört und das kindliche Gehirn (vereinfacht erklärt) erkennt: „Ah, da gibt es einen Unterschied zwischen Nominativ und Akkusativ! Dann muss ich diesen Kontrast wohl markieren.“ 

Während Luna also „nur“ Quartett spielt, finden in den Spracharealen ihres Gehirns wichtige neue Verknüpfungen statt.

2. Direktes Üben

Nicht alle Therapieinhalte können in Spiele verpackt werden. Manchmal sind auch direkte Übungen notwendig. Aber wenn Kinder merken, dass die Übungen sie weiterbringen, sind sie oft sehr motiviert.

Fallbeispiel 3: Hanna stottert

Die achtjährige Hanna ist schon seit einigen Wochen in logopädischer Therapie. Wir üben gerade einen weichen Wortbeginn, um Stottersymptome zu reduzieren. Damit Hanna diese Sprechtechnik irgendwann auch bei echten Stottersymptomen anwenden kann, üben wir sie jetzt mit dem sog. Pseudostottern: Abwechselnd ziehen wir eine Bildkarte, beschreiben das Bild und stottern den Anfang eines Wortes (das haben wir vorher geübt), dann üben wir die Sprechtechnik. Die jeweils andere hört genau zu und gibt Verbesserungsvorschläge.

Am Anfang der Therapie habe ich mit Hanna über ihre Ziele gesprochen: Was will sie erreichen? Was ist ihr wichtig? Was ist möglich?

Wir haben besprochen, welche einzelnen Schritte wir gehen, um ihre Ziele erreichen zu können? Weil Hanna genau weiß, warum die Übungen nötig sind und dadurch eine hohe innere Motivation hat, macht sie alle Übungen konzentriert mit – auch wenn es sie manchmal Überwindung kostet.

Bildkarte logopädische Therapie des Stotterns
Diese Bildkarten eignen sich besonders gut zum Erzählen.

3. Taktile Wahrnehmungsübungen

Um etwas bewusst ändern zu können, ist es wichtig, in einem ersten Schritt die Wahrnehmung zu schärfen. Diese Übungen spielen in verschiedenen logopädischen Therapie eine Rolle, vor allem bei der Therapie von Sprechstörungen (das sind Störungen, die die Bewegung von Mund, Zunge etc. betreffen).

Fallbeispiel 4: Niko lispelt

Niko (7 Jahre alt) kommt wegen eines Sigmatismus interdentalis in die logopädische Praxis: Er bildet den Laut „s“ mit der Zunge zwischen den Zähnen („lispeln“).

Er spürt nicht genau, wo seine Zunge im Mund liegt. Gemeinsam schauen wir  deshalb unsere Zungen im Spiegel an und malen den Umriss einer Zunge auf Papier. Mit einem speziellen Eisstäbchen tippe ich nun vorsichtig verschiedene Stellen auf Nicos Zunge an. Nico fühlt genau hin, wo das Eisstäbchen war und zeigt mir die Stelle auf der gemalten Zunge.

Durch diese Übung schärft er seine Wahrnehmung für die Lage der Zunge und spürt genauer, wie sie sich bei verschiedenen Sprechlauten bewegt.

Nico hat seine Zunge aufgemalt und wir haben die Stellen markiert, die ich mit dem Eisstäbchen antippen werde.

Dies war ein kleiner Ausschnitt aus dem Methodenkoffer einer Logopädin. Die wichtigste Grundlage fürs Lernen ist Spaß und Motivation. Das Spiel ist deshalb (nicht nur für Kinder) ein besonders motivierender Weg, um die ganz persönlichen Therapieziele zu erreichen.

2 Kommentare zu „Spielen oder lernen? So arbeitet eine Logopädin mit Kindern“

  1. Vielen Dank für den Einblick in ihre Praxis für Logopädie. Ich wusste gar nicht, dass in der Kindersprachtherapie so viel gespielt wird. Ich finde das allerdings sehr schön. So macht das Kind auch gerne mit.

    1. Hallo Rudi, ja, das stimmt – dass ein Kind motiviert dabei ist und Spaß hat, ist wirklich eine wichtige Grundlage für die Sprachtherapie. Ich freue mich, dass du auf meinem Blogartikel gelandet bist. Liebe Grüße, Wiebke

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Wiebke Schomaker Logopädin

Hallo, hier schreibt Wiebke!

Als Logopädin zeige ich Eltern, wie sie die Sprachentwicklung ihres Kindes spielerisch und kompetent unterstützen können.

Auf meinem Blog findest du logopädisches Fachwissen in verständlicher Sprache, motivierende Spielideen zur Sprachförderung und auch ein paar persönliche Artikel.

Viel Spaß beim Lesen! 🤩

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