mein kind wird nicht verstanden interview

Wenn ein Kind nicht verstanden wird: Interview mit Anna

Viele Eltern erzählen mir als Logopädin, dass sie sich mit der Sprachentwicklungsstörung ihres Kindes alleine fühlen. Dass sie den Eindruck haben: Bei allen anderen Kindern klappt das Sprechenlernen ganz leicht. Nur mein Kind hat Probleme, sprechen zu lernen.

Vielleicht geht es dir ähnlich. Dann ist dieses Interview mit Anna für dich.

Annas vierjährige Tochter Ida hat eine Sprachentwicklungsstörung. Im Interview erzählt sie, wann sie gemerkt hat, dass Ida anders als andere Kinder spricht. Welche Schwierigkeiten es gab, die richtige logopädische Therapie für Ida zu finden.

Und sie erzählt, was ihr selbst geholfen hat, mit der Diagnose „Sprachentwicklungsstörung“ umzugehen und was sie ihrer Tochter auf die Frage antwortet: „Mama, warum muss ich zur Logopädie?“


Anna, wann ist dir zum ersten Mal aufgefallen, dass deine Tochter anders spricht als andere Kinder?

Mir ist mit 2 Jahren aufgefallen, dass die anderen Kinder, zum Beispiel beim Kinderturnen, schon viel mehr gesprochen haben.
Ida hat mit 12 Monaten ihre ersten Worte gesprochen, Mama und Papa, aber danach kamen kaum neue Wörter.

Auch mit zwei Jahren haben wir Ida fast gar nicht verstanden. Mama, Papa, Oma, Opa konnte sie aussprechen, aber andere Wörter nicht. Das Wort „Atta“ zum Beispiel hat sie für viele verschiedene Dinge gesagt: Für Kinderwagen, für Autos, für andere Fahrzeuge.

Mit 2 ½ Jahren war ich deshalb bei der Kinderärztin, weil ich begonnen habe, mir Sorgen zu machen. Ich habe erzählt, dass Ida viel weniger spricht als andere Kinder. Die Kinderärztin hat mich aber beruhigt und gesagt: Geben Sie ihr noch Zeit. Sie kommt ja mit drei in den Kindergarten, dann wird das mit der Sprache besser.

Kurz bevor sie in den Kindergarten gekommen ist, hatten wir die U7a. Da hatte sie gerade mit ersten Zweiwortsätzen angefangen. Und da hat die Kinderärztin plötzlich gesagt: Ida spricht so schlecht, sie muss sofort zur Logopädie.

Wie war das für dich, als du von der Kinderärztin gehört hast, dass Ida nun doch dringend logopädische Therapie braucht?

Zuerst habe ich gedacht: Ja, das sage ich doch schon die ganze Zeit. Gleichzeitig hatte ich auch plötzlich Stress und habe sofort alle logopädischen Praxen in der Umgebung angerufen. Wir hatten Glück, dass wir zwei Tage später schon in einer Praxis in der Nähe anfangen konnten.
Zusätzlich waren wir noch beim Hals-Nasen-Ohren-Arzt und beim Pädaudiologen, um das Hören zu überprüfen. Da war alles in Ordnung.

Und wie lief es in der logopädischen Therapie?

Das war schwierig, denn Ida kannte noch keine Fremdbetreuung. Bisher hatte immer ihr Opa aufgepasst, wenn mein Mann und ich arbeiten gegangen sind. Die Logopädin wollte aber, dass wir während der Therapie rausgehen. Das ging gar nicht, denn Ida hat sich geweigert und nur geweint. Wir haben deshalb die Logopädin gewechselt. In der zweiten Logopädiepraxis war es ganz anders, denn dort sollte ich die ganze Zeit dabei sein. Aber es gab leider gar keine Erfolge. Die Logopädin hat dann vermutet, dass Ida eine Verbale Entwicklungsdyspraxie (VED) hat.

Ich wusste gar nicht, was das ist und hab mich erstmal in Facebookgruppen zur VED schlau gemacht. Da hab ich aber echt Panik bekommen, als ich die Geschichten von anderen gelesen habe. Ich hatte plötzlich Angst, dass Ida ihre Sprechschwierigkeiten das ganze Leben mit sich herumtragen wird. Bis dahin war ich eigentlich ziemlich optimistisch und hab immer gedacht: Vielleicht ein Jahr, dann wird das schon.

Jetzt war mir klar, dass das länger dauern kann und dass wir eine Spezialistin brauchen. Ich habe zum Glück eine Logopädin in der nächsten Stadt gefunden, die auf VED spezialisiert ist. Sie hat erstmal eine Diagnostik gemacht und festgestellt: Ida hat keine VED, sondern eine phonologische Störung. Seitdem wir bei dieser Logopädin sind, macht Ida große Fortschritte und wir sind total zufrieden.

Klasse, dass du so hartnäckig nach der richtigen Logopädin für euch gesucht hast.

Erst dachte ich: Vielleicht liegt es an uns und wir sind zu kritisch. Aber wenn ich jetzt sehe, wie gut es bei der neuen Logopädin läuft, weiß ich, dass es richtig war, etwas länger zu suchen.

Die Logopädin hat ein richtiges Therapiekonzept und erzählt uns genau, was Ida in jeder Stunde gemacht hat und was wir zu Hause üben sollen. Ida liebt ihre Logopädin und fragt immer: Wann gehen wir wieder zur Logopädie?

Weiß Ida, warum sie zur Logopädie geht?

Ja, das weiß sie genau. Am Anfang der logopädischen Therapie haben wir nur gesagt, wir gehen da zum Spielen hin. Sie hat dann aber irgendwann gefragt: Gehen andere Kinder auch zur Logopädie?

Und wir haben ihr dann erklärt, dass jedes Kind andere Dinge gut kann. Manche Kinder können super Fahrrad fahren und andere müssen das noch üben. Und bei ihr ist es so, dass ihr Mund noch etwas üben muss. Auch bei der Sprach-Reha, die nächste Woche anfängt, haben wir ihr erklärt, warum sie dort hingeht. Dass ihr dort ganz viel geholfen wird, damit sie besser verstanden wird.

Wie spricht Ida inzwischen? Du hast erzählt, dass sie zum dritten Geburtstag mit Zweiwortsätzen angefangen hat.

Inzwischen ist die Aussprache das größte Problem. Ida spricht kein W, F, S und SCH, sondern stattdessen T und D. Sie sagt zum Beispiel nicht Wasser, sondern Datta. Die Logopädin hat gesagt, das nennt sich Plosivierung.

Wir üben schon ganz lange am F, das sie einzeln auch schon sagen kann. Aber ihr fällt es schwer, das F mit anderen Buchstaben zu sagen. Sie sagt dann nicht „fa“, sondern „f-da“. Am F üben wir gefühlt schon ewig. Ich hoffe, dass das bald auch kommt.

Außerdem hat sie immer die Wortendungen weggelassen. Sie hat nicht Haus oder Maus gesagt, sondern „Hau“ oder „Mau“. Jetzt sagt sie die Wortendungen ab und zu schon richtig und bemerkt dass dann auch selbst, dass sie das Wort jetzt richtig sagen kann.

Wie ist das bei euch im Alltag, wenn Ida nicht verstanden wird. Wie reagiert Ida?

Von anderen wird Ida ganz oft nicht verstanden. Früher war ich immer der Übersetzer für das Kind. Das ist noch heute öfter so. Wenn zum Beispiel Ida zu meiner Mutter sagt, dass sie etwas trinken möchte und meine Mutter versteht sie nicht, dann sage ich: „Ida, möchtest du noch was trinken?“ Ich versuche also, dass sie das nicht so mitkriegt, dass ich für sie übersetze. Aber sie merkt, dass viele sie nicht verstehen.

Manchmal sagt sie mir sogar, dass ich übersetzen soll. Wenn sie zum Beispiel jemandem etwas erzählt und der versteht sie nicht, dann schaut sie zu mir und sagt: „Mama, kannst du ihm das nochmal sagen?“

Wir merken das auch beim Kontakt mit anderen Kindern. Ida traut sich kaum, mit anderen Kindern zu sprechen. Sie hat wirklich Angst davor und spricht dann lieber gar nicht. Bei Erwachsenen fasst sie eher Vertrauen, vielleicht, weil sie merkt, dass Erwachsene sich mehr bemühen, sie zu verstehen.

Das ist für mich das Schlimmste: Dass ich sehe, wie sie sich nicht traut, mit anderen Kindern zu sprechen. Dass sie so zurückstecken muss und auch keine schönen ersten Jahre im Kindergarten hatte.

Was hat euch geholfen, damit umzugehen, dass Ida eine Sprachentwicklungsstörung hat?

Uns hat geholfen, dass wir wirklich auf unser Gefühl gehört haben. Wenn man zum Beispiel bei einer Logopädin kein gutes Gefühl hat, ist es wichtig, da auf sein Bauchgefühl zu hören. Und vielleicht auch nochmal zu wechseln. Mir hat es da geholfen, viel mit meinem Mann und meinen Eltern zu sprechen und meine Sorgen auszusprechen.

Was mir noch sehr geholfen hat, war der Austausch mit anderen Eltern. Ich bin in einer Facebookgruppe für Eltern von sprachentwicklungsverzögerten Kindern. Denn hier bei uns im Dorf kenne ich kein Kind, das so spricht. Hier kennen andere Eltern die Probleme nicht.

Mir hat es eine große Last genommen, in der Facebookgruppe zu merken, dass ich nicht alleine bin und es auch andere Eltern gibt, die ein Kind mit Sprachproblemen haben. Ich habe gemerkt, dass es gar nicht so selten ist, was Ida hat und dass sie das schaffen kann. Da kann man alle Fragen stellen, die man hat. Ich habe noch nie erlebt, dass jemand blöd reagiert hat. Alle haben Verständnis, weil alle im selben Boot sitzen.

Eine tolle Unterstützung ist auch Idas Bezugserzieherin. Ida wollte am Anfang den Morgenkreis nicht mitmachen. Da hat ihre Erzieherin sie unterstützt und immer wieder Mut gemacht. Das hat uns auch sehr geholfen, dass jemand im Kindergarten da ist, der auf Ida guckt.

Für Ida war auch die Woche im Allgäu bei der Bewegten Logopädie toll. Da hat sie gemerkt, dass es auch andere Kinder gibt, die nicht so gut sprechen. Das hat ihrem Selbstbewusstsein sehr gut getan. Sie hat dort direkt eine Freundin gefunden. Ich habe Ida noch nie mit einem Kind so spielen sehen wie mit diesem Mädchen. Ihre Freundin aus dem Allgäu hat uns mit ihren Eltern sogar schon hier besucht.

Und was Ida noch geholfen hat: Es ist wichtig, immer ehrlich zu ein und darüber zu sprechen, warum sie das Sprechen üben muss. Wenn man ihr alles ehrlich erklärt und keine Märchen erzählt, dann versteht sie das und macht auch mit.

Vielen Dank für deine wertvollen Tipps, Anna! Ich danke dir sehr, dass du so offen von eurem Weg und auch von deinen Sorgen erzählt hast. Ich wünsche Ida und dir alles alles Gute!


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Wiebke Schomaker Logopädin

Hallo, hier schreibt Wiebke!

Ich bin Logopädin, Autorin dieses Blogs und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.

Viel Spaß beim Lesen! 🤩

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