Sind Late Talker einfach Spätzünder? Warum du nicht abwarten solltest, wenn dein Kind noch nicht spricht

Late Talker sind einfach Spätzünder! Stimmt das?

Wenn Eltern sich Sorgen machen, dass ihr Kind mit 2 Jahren nur ein paar Wörter oder noch gar nicht spricht, bekommen sie von Verwandten oder anderen Eltern sehr unterschiedliche Ratschläge.

Entweder es wird beruhigt:

Warte einfach ab! Mein Sohn war auch ein Spätzünder und jetzt redet er wie ein Wasserfall!

Oder es kommen Ratschläge, die Angst machen und Schuldgefühle verursachen:

Dein Kind redet ja noch gar nicht. Also ich würde mir langsam Sorgen machen! Ihr müsst mal mehr mit ihm reden und ihm vorlesen!

Weder die einen noch die anderen Ratschläge helfen wirklich bzw. manche sind auch einfach falsch: Eltern sind nicht Schuld daran, wenn ein Kind spät zu sprechen beginnt. Auf der anderen Seite ist die Strategie „Einfach-mal-Abwarten“ auch nicht sinnvoll. 

Hier sind 3 Gründe, warum es wichtig ist, bei Late Talkern genauer hinzuschauen.

Ein Teil der zweijährigen Late Talker holt bis zum dritten Geburtstag die Sprachentwicklung komplett auf, ohne dass sie besonders gefördert werden. Sie sind tatsächlich einfach Spätzünder. Für diese Kinder funktioniert die Strategie „Einfach-mal-Abwarten“.

Aber nicht alle Late Talker machen bis zum dritten Geburtstag so große Fortschritte: Die Mehrheit der Late Talker zeigt auch mit drei Jahren noch deutliche Sprachauffälligkeiten. Bei etwa 23% aller ehemaligen Late Talker wird mit 5 Jahren eine Sprachentwicklungsstörung diagnostiziert, bei weiteren 30% leichtere Auffälligkeiten in der Sprache (1). Sprachentwicklungsstörungen lassen sich normalerweise sehr gut behandeln – das geht leichter, wenn sie frühzeitig erkannt werden.

Der Begriff „Late Talker“ ist keine Diagnose. Aber er kann ein Hinweis auf eine sich entwickelnde Sprachentwicklungsstörung sein. Ich finde es sinnvoll hinzuschauen, wenn in der Entwicklung von Kindern solche Hinweise auftauchen. Dieses Hinschauen bedeutet nicht, das Kind in eine Schublade zu stecken. Es ist auch nicht immer direkt logopädische Therapie nötig. Aber das Hinschauen gibt Kindern die Chance, Hilfe zu bekommen, wenn es nötig ist.

Grund 2: Der Meilenstein der ersten 50 Wörter

Die ersten 50 Wörter lernen Kinder normalerweise in gemächlichem Tempo: Am Anfang des Wortlernens kommen pro Woche ungefähr 2-3 neue Wörter hinzu, die ein Kind sprechen kann. 

Wenn ein Kind ungefähr 50 unterschiedliche Wörter sprechen kann, ist ein Meilenstein in der Sprachentwicklung erreicht: Es ist nun genügend Wortmaterial da, um erste Wörter zu Zweiwortsätzen zu kombinieren und damit in die frühe Grammatik einzusteigen. Die 50 Wörter im aktiven Wortschatz des Kindes lösen einen weiteren Entwicklungsschub aus: Das Speichersystem des Gehirns für Wörter verändert sich (2). Diese Umstrukturierung im Sprachzentrum deines Kindes bewirkt, dass es plötzlich viel schneller neue Wörter speichern und sprechen kann. 

Das Zeitfenster für superschnelles Wortschatzwachstum öffnet sich: In dieser Phase können Kinder ein neues Wort, das sie nur 1-2 Mal hören, in ihren Wortschatz aufnehmen (diese schnelle Speicherung wird als „fast-mapping“ bezeichnet). Bei vielen Kindern kommen so bis zu 9 neue Wörter PRO TAG im Wortschatz dazu!

Bei einem Kind, das noch nicht diese „magischen 50 Wörter“ sprechen kann, wird auch die Umstrukturierung des Gehirns noch nicht ausgelöst. Die Folge für Late Talker: Das Speichern neuer Wörter bleibt langsam und mühsam. Deshalb ist das erste Ziel in einer Late-Talker-Therapie der Aufbau eines Grundwortschatzes von über 50 Wörtern.

Frühe Sprachförderung von Late Talkern oder eine spielerische Sprachtherapie kann also helfen, dass die Sprachentwicklung nicht zu lange stagniert, sondern die Sprachentwicklung wieder „in Fluss“ kommt. 

Grund 3: Late Talkern fehlen die Worte, um sich mitzuteilen

Im Laufe des dritten Jahres entwickeln sich Kinder rasant weiter: Zwei- bis dreijährige Kinder sind in ihrer Denkentwicklung so weit, dass sie viele Zusammenhänge verstehen können und tausend Fragen stellen. Sie erforschen voller Neugierde die Zusammenhänge in dieser Welt, wollen sich mitteilen und von Erlebnissen, ihren Gedanken und Gefühlen erzählen. Sie wollen erfahren: Was denkt der andere? Und was habe ich zu sagen?

Late Talkern fehlen die Worte für diese Gespräche. Das kann mit zunehmendem Alter richtig frustrierend sein – für das Kind genauso wie für seine Familie! Das Lernen von wichtigem Weltwissen und vor allem das Selbstwertgefühl können durch eine schleppende und mühsame Sprachentwicklung einen echten Knick bekommen. 

Wissen lässt sich nachholen. Aber die Erfahrung: „Ich kann nicht mit anderen ins Gespräch kommen. Ich will mich mitteilen, aber keiner versteht mich.“ kann manche Kinder noch lange prägen.

Das ist so schade und muss nicht sein: Denn Eltern können lernen, wie sie mit ihrem Kind auch in einfachen Worten tiefgehende Gespräche führen können. Dazu brauchen sie Unterstützung und sinnvolle Anleitung statt Ratschlägen.

Late Talker können sich nicht mitteilen.
Für Late Talker kann es sehr frustrierend sein, nicht mitteilen zu können, was im Kopf vor sich geht.

Fazit: Nicht einfach abwarten!

Alle Eltern mit Late Talker-Kindern haben ein Recht auf eine professionelle Diagnostik der Hör- und Sprachfähigkeiten des Kindes und auf individuelle Beratung.

Wenn du dir Sorgen um die Sprachentwicklung deines Kindes machst, dann ist der Kinderarzt/die Kinderärztin die erste Ansprechpartnerin. 

Oft reichen schon ein paar logopädische Diagnostik- und Beratungsstunden, denn nicht jeder Late Talker braucht sofort Sprachtherapie. Mit den passenden Sprachförderstrategien kannst du auch zu Hause sehr wirksam die Sprachentwicklung deines Kindes unterstützen. Wenn du erste Strategien für die Sprachförderung von Late Talkern kennenlernen willst, lies gerne in diesem Artikel weiter:

tipps für late Talker kind zwei jahre spricht nicht
Dein Kind spricht noch nicht? 3 erste Tipps für Late Talker

Wenn dein Kind Aussprachefehler macht oder sehr undeutlich spricht, dann kann dir mein Logopädie-Leitfaden für 0€ weiterhelfen. Dort erkläre ich dir, wann ein Kind welche Buchstaben sprechen kann und zeige dir 5 Strategien, mit denen du deinem Kind helfen kannst, Aussprachefehler zu überwinden.

Quellen:

(1) Claudia Hachul: Late Talker, Late Bloomer, Sprachentwicklungsstörung. Kapitel 4 in: Niebuhr-Siebert und Wiecha: Kindliche Sprach-, Sprech-Stimm- und Schluckstörungen 2012, S. 54)
(2) Christina Kauschke in: Früh genug, zu früh, zu spät? S. 158

1 Kommentar zu „Late Talker sind einfach Spätzünder! Stimmt das?“

  1. Logopädie kann eine entscheidende Rolle spielen, um diese Kinder dabei zu unterstützen, ihre sprachlichen Fähigkeiten zu entwickeln. Es ist wichtig, dass wir uns daran erinnern, jedes Kind individuell zu betrachten und nicht einfach davon auszugehen, dass sie „Spätzünder“ sind. Deine Erklärungen und Ratschläge könnten vielen Familien dabei helfen, die Situation besser zu verstehen und angemessen zu handeln. Sehr informativ und hilfreich!

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Wiebke Schomaker Logopädin

Hallo, hier schreibt Wiebke!

Ich bin Logopädin, Autorin und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.

Viel Spaß beim Lesen! 🤩

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