Paukenergüsse, Polypen, Mittelohrentzündungen und andere Infekte – manche Kinder haben damit besonders häufig zu kämpfen. Diese Symptome sind nicht nur lästig, sondern stören manchmal auch die Sprachentwicklung. Aber warum eigentlich? In diesem Artikel erkläre ich, was hinter Paukenergüssen und Polypen steckt und welche Auswirkungen sie haben können.
Inhalt des Artikels
1. Was sind Polypen?
Eigentlich sind Polypen Ausstülpungen von Schleimhaut, die zum Beispiel in den Nasennebenhöhen auftreten können. Diese treten jedoch fast nur bei Erwachsenen auf.
Viel häufiger sind bei Kindern vergrößerte Rachenmandeln – diese werden umgangssprachlich meistens ebenfalls als „Polypen“ bezeichnet. Der korrekte Fachbegriff für vergrößerte Rachenmandeln: Adenoide oder auch Rachenmandelwucherung.
Wenn also jemand davon spricht, dass seinem Kind „die Polypen entfernt“ werden müssen, dann ist fast immer die vergrößerte Rachenmandel gemeint, die operativ entfernt werden soll.
Hier siehst du die Lage der Rachenmandel und der anderen Mandeln:
2. Warum haben so viele Kinder eine vergrößerte Rachenmandel?
Jeder, der Kinder hat, weiß: Erkältungen sind häufig, seeehr häufig! Bis zu 12 virale Infekte im Jahr sind normal und auch sinnvoll, denn das Immunsystem wird dadurch gut trainiert und reift aus.
Auch die Rachenmandel gehört zum Immunsystem. Zusammen mit den anderen Mandeln (den zwei Gaumenmandeln und der Zungengrundmandel) bildet sie einen Schutzring. Bei jedem viralen und bakteriellen Angriff werden sie aktiviert und schwellen an.
Tatsächlich ist eine vergrößerte Rachenmandel bei den meisten Kleinkindern ein Normalzustand und ein Zeichen: „Das Immunsystem ist im Training.“ Manchmal vergrößert sich die Rachenmandel aber so sehr (z.B. bei besonders vielen Erkältungen oder durch Allergien, oft auch durch anatomische Veranlagung), dass sie zum Problem werden kann.
3. Woran erkenne ich, dass mein Kind eine vergrößerte Rachenmandel ("Polypen") hat?
Typische Anzeichen für eine stark vergrößerte Rachenmandel können sein:
- Schnarchen und evtl. Atemaussetzer im Schlaf
- Mundatmung, weil die Rachenmandel den inneren Eingang der Nase verschließt
- Durch die ständige Mundatmung entwickeln sich wiederum häufiger Infekte, die die Rachenmandel weiter aktivieren
- Häufige Mittelohrentzündungen
- eine verzögerte Sprachentwicklung, Lispeln oder eine verwaschene Aussprache
4. Wie können "Polypen" die Sprachentwicklung beeinflussen?
Die vergrößerte Rachenmandel kann sich auf verschiedene Arten auf die Sprache auswirken:
Folge 1: Mundatmung und Lispeln
Durch eine stark vergrößerte Rachenmandel wird der innere Eingang vom Rachen zur Nase verschlossen. Dadurch muss das Kind durch den Mund atmen.
Wenn dies über eine längere Zeit passiert, entsteht häufig eine unausbalancierte Muskelspannung im Mundbereich.
Versuche es mal selbst:
Halte dir deine Nase zu. Was passiert? Du öffnest automatisch den Mund zum Atmen, oder? Beobachte jetzt eine Weile deine Zunge, während du deine Nase weiter zuhältst.
Merkst du, dass deine Zunge schlaffer wird, sich unten an den Mundboden legt oder sogar nach vorne zwischen die Zähne rutscht?
Die gleichen Auswirkungen der Mundatmung spürt auch dein Kind. Nach einigen Wochen ständiger Mundatmung wird die Muskelspannung immer unausbalancierter, die Zungenmuskeln werden schlapp.
Die fehlende Spannung der Zunge bewirkt folgendes:
Das Kind beginnt, beim Schlucken von Nahrung oder Speichel die Zunge gegen die Schneidezähne zu drücken, weil die Muskelspannung für das korrekte Schlucken fehlt. Dies nennt sich myofunktionelle Störung.
Aber nicht nur beim Schlucken, auch beim Sprechen rutscht die Zunge aufgrund der schwachen Muskeln oft nach vorne – Lispeln (interdentaler Sigmatismus) kann so entstehen.
Lese-Tipp: In meinem Artikel über Mundatmung bei Kindern erfährst du mehr darüber, welche ungünstigen Folgen Mundatmung auf Kiefer, Zähne, Schlaf und Sprachentwicklung haben kann.
Folge 2: Paukenergüsse und Hörstörungen
Eine stark vergrößerte Rachenmandel verschließt nicht nur den Nasenzugang vom Rachen aus, sondern kann wie beschrieben auch die Ohrtrompete verschließen. Die Ohrtrompete ist ein kleiner Gang, der vom Nasenraum zum Mittelohr führt:
Normalerweise ist das Mittelohr mit Luft gefüllt. Durch die Ohrtrompete wird der Luftdruck ständig ausgeglichen. Wenn die Ohrtrompete aber verschlossen ist (durch eine zu große Rachenmandel oder durch einen Infekt), dann sammelt sich im Mittelohr Flüssigkeit – ein Paukenerguss entsteht. Er verhindert, dass der Schall gut ans Innenohr weitergeleitet wird.
Die Folgen:
- Das Kind spürt ein Druckgefühl im Ohr.
- Geräusche und vor allem Sprache hört das Kind nur dumpf. Eine Hörstörung, genauer: eine Schallleitungsschwerhörigkeit, entsteht.
Da Paukenergüsse oft schmerzlos sind, können sie monatelang unentdeckt bleiben.
Vor allem bei Babys und ein- bis dreijährigen Kindern, die gerade mitten in der frühen Sprachentwicklung sind und viel Sprachinput brauchen, kann eine wochen-oder monatelange Schwerhörigkeit große Auswirkungen auf die Sprache haben.
Typische Folgen einer solchen Schallleitungsschwerhörigkeit:
- Aussprachestörungen, weil die feinen Unterschiede von Lauten (zum Beispiel von T, D, K und G) nicht gehört werden. Diese Aussprachestörungen bleiben oft bestehen, auch wenn das Kind wieder gut hört.
- bei ein- bis zweijährigen Kindern zeigt sich häufig auch ein langsamer Wortschatzzuwachs – Paukenergüsse sind eine mögliche Ursache für einen späten Sprechbeginn (Late Talker).
5. Was kannst du tun?
Wenn dein Kind besonders häufig erkältet ist, schnarcht oder ständig durch den Mund atmet, solltest du eure Kinderärzt:in oder HNO-Ärzt:in auf diese Symptome ansprechen.
Manchmal wird ein monatelanger Paukenerguss erst erkannt, wenn die Sprachentwicklung schon stark verzögert ist. Die Eltern wurden dann mit Sätzen wie „Das kommt schon noch!“ von ihrer Umgebung immer wieder vertröstet. Wenn dann bemerkt wird, dass das Kind kaum hören kann, ist oft schon wertvolle (Entwicklungs-)zeit vergangen.
Deshalb: Wenn du dir Sorgen um die Sprachentwicklung deines Kindes machst, dann bestehe darauf, dass die Ohren und das Hören genau untersucht werden.
Und wenn du nach ersten Übungen suchst, um die Aussprache deines Kindes spielerisch zu fördern: In meinem Logopädie-Leitfaden für 0€ zeige ich dir 5 Strategien, mit denen du deinem Kind helfen kannst, Aussprachefehler zu überwinden.
6. Was tut der Arzt/die Ärztin bei einem Paukenerguss und "Polypen"?
Meistens werden anfangs abschwellende Nasentropfen verschrieben, damit das Mittelohr wieder belüftet wird. Wenn die Rachenmandel sehr lange stark vergrößert ist, wird sie manchmal operativ entfernt. Auch kleine Paukenröhrchen können ins Trommelfell gesetzt werden, damit die Flüssigkeit aus dem Mittelohr abfließen kann.
Eine logopädische Therapie zur Behandlung eines falschen Schluckens oder einer Aussprachestörung wird durch Kinder- oder andere Ärzte verordnet. Diese ist häufig auch dann sinnvoll, wenn dein Kind wieder gut hört. Denn bei vielen Kindern bleiben die Auswirkungen auf die Sprachentwicklung bestehen, auch wenn die Ursache behoben ist.
Zusammenfassung
Eine stark vergrößerte Rachenmandel, Paukenergüsse, ständige Erkältungen – viele Kinder kennen diese Symptome. Manchmal entsteht dadurch ein ungünstiger Kreislauf, der auch die Sprachentwicklung beeinflussen kann:
Die vergrößerte Rachenmandel kann den Eingang zum Nasenraum und zur Ohrtrompete verschließen. Dadurch können zahlreiche weitere Folgen entstehen, z.B. eine ständige Mundatmung und ein Paukenerguss im Mittelohr.
Mundatmung wiederum begünstigt eine schlaffe Zungenmuskulatur, ein falsches Schluckmuster und Lispeln. Außerdem werden durch die Atmung durch den Mund neue Erkältungen wahrscheinlicher, weil die Nase nicht mehr Viren filtern kann.
Der Paukenerguss verursacht eine Hörstörung, so dass auch Sprache nur dumpf wahrgenommen wird. Hält dieser Zustand monatelang an, können Aussprachestörungen oder ein verlangsamter Sprechstart die Folge sein.
Ich hoffe, dass dir diese Übersicht etwas Klarheit in das Begriffswirrwar geben konnte und wünsche deinem Kind, dass es schnell wieder frei durchatmen kann.
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8 Kommentare zu „Paukenerguss und Polypen: So beeinflussen sie die Sprachentwicklung“
Liebe Wiebke,
jetzt habe ich echt viel gelernt, was mir vorher gar nicht bewusst war bzw. worüber ich mir nie Gedanken gemacht habe.
Auch die Grafiken sind sehr anschaulich.
Ich denke, dass sehr viele Eltern sehr dankbar sind, mit deinem Expertenartikel so viel geballtes Wissen kurz und verständlich geliefert zu bekommen.
Liebe Claudia, ganz herzlichen Dank für deinen schönen Kommentar. Ich freu mich sehr!
Liebe Wiebke,
das ist ein wirklich wichtiges Thema! Du hast alles so gut und einleuchten erklärt, dass auch medizinische Laien alles problemlos verstehen können.
Liebe Ilka, vielen Dank fürs Lesen und Kommentieren! Ich freu mich, dass der Artikel gut verständlich und nicht verwirrend ist, das ist mir bei diesem Thema besonders wichtig.
Hallo, mein Sohn wurde vor 6 Tagen operiert bei beiden Seiten wurden diese Röhrchen eingesetzt und Pollypen wurden entfernt außerdem. Er hat nach der Op bzw auch nach 6 Tagen starke Schmerzen und kann seinen Kof nicht bewegen. Ist es überhaupt normal? Die Ärzte (2) haben Antibiotika verschrieben (Amoxicilin).
Lg
Esa
Liebe Esa,
oh weh, da würde ich unbedingt euren Arzt fragen, was hinter den starken Schmerzen steckt.
Ich wünsche deinem Sohn alles Gute und schnelle Heilung!
Alles Liebe,
Wiebke
Liebe Wiebke,
vielen Dank für diese tolle Zusammenfassung! Meiner Tochter (3) steht kurz vor einer OP (Entfernung der Rachenmandeln und Einsatz von Paukenröhrchen). Im Sommer hat sie keine Probleme mit dem Hören, im Winter sind die Nebenhöhlen und die Ohrtrompete durch viele Infekte monatelang verstopft. Eine Freundin von mir hat mit Hilfe von Logopädie bei dem gleichen Beschwerdebild eine große Besserung bei ihrem Sohn feststellen können: sein Schnarchen zurückgegangen, er ist von Mund- auf Nasenatmung übergegangen und hört auch besser. Was sind die logopädischen Möglichkeiten und Hintergründe für diese Verbesserung? Vielen Dank für Ihre Hilfe!
Liebe Larissa,
das ist eine spannende Frage! Kurz zusammengefasst sind die Zusammenhänge so: Wenn ein Kind lange Zeit nur durch den Mund atmen kann (z.B. aufgrund der vergrößerten Rachenmandel oder durch eine ständig verstopfte Nase), dann gewöhnt es sich häufig eine Mundatmung an und diese bleibt, auch wenn die Nasenatmung wieder frei wäre. Eine OP ist also oft notwendig, damit ein Kind überhaupt durch die Nase atmen kann. Aber zusätzlich ist anschließend oft Logopädie sinnvoll, damit das Kind sich wieder von Mund- auf Nasenatmung umgewöhnt.
Ständige Mundatmung kann einige nachteilige Folgen haben, zum Beispiel eine erhöhte Infektanfälligkeit und bei einigen Kindern auch ein verändertes Kieferwachstum. In der logopädischen Therapie wird bei diesen Auffälligkeiten spielerisch daran gearbeitet, dass die Nasenatmung wieder aktiviert wird, zum Beispiel durch Riechübungen, Pustespiele mit der Nase und Übungen zum Lippenschluss. Außerdem wird (individuell auf das Kind abgestimmt) auch an der richtigen Zungenruhelage und z.T. auch am Schlucken gearbeitet. Diese Veränderungen wirken sich direkt auf Schnarchen, Infektanfälligkeit usw. aus.
Ich verlinke dir hier noch einen weiterführenden Artikel, wenn du dich gerne noch mehr einlesen möchtest:
https://starkesprache.de/mundatmung-bei-kindern/
Frage aber gerne auch nochmal nach, wenn ich etwas unverständlich erklärt habe.
Herzliche Grüße und alles Gute für die OP,
Wiebke
Hallo, hier schreibt Wiebke!
Ich bin Logopädin, Autorin dieses Blogs und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.
Viel Spaß beim Lesen! 🤩