logopädische Fachbegriffe verständlich erklärt

Logopädie-Lexikon: Logopädische Fachbegriffe einfach erklärt

Hier findest du ein Nachschlagewerk zu den wichtigsten logopädischen Fachbegriffen im Bereich der kindlichen Sprachentwicklung. Ich werde es in den nächsten Wochen weiter ergänzen – schreibe mir also gerne einen Kommentar, wenn dir ein Begriff fehlt oder du etwas ergänzen möchtest.

Über das Inhaltsverzeichnis kannst du direkt zum Begriff springen, den du nachschlagen willst.

Aussprachestörung

Nicht-altersgemäße Schwierigkeiten bei der korrekten Aussprache von Lauten und Silben werden unter dem Begriff der Aussprachestörung zusammengefasst. Die Laute oder Silben werden weggelassen (z. B. Frosch wird zu Fosch), ersetzt (z. B. Kuchen wird zu Tuchen) oder fehlgebildet (z. B. der Laut /s/ wird mit der Zunge zwischen den Zähnen gesprochen).

Es werden verschiedene Formen der Aussprachestörungen unterschieden:

  • phonetische Störung
  • phonologische Verzögerung
  • phonologische Störung
  • inkonsequente phonologische Störung
  • verbale Entwicklungsdyspraxie (VED)
  • kindliche Dysarthrie

Diese Unterscheidung ist wichtig, um die jeweils passende Therapiemethode für das Kind wählen zu können.

Weitere Informationen zu Aussprachestörungen findest du bei www.annette-fox-boyer.de

AVWS

Die Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) ist eine Störung der Fähigkeit, Gehörtes im Gehirn richtig zu verarbeiten, obwohl das Hören selbst intakt ist. Die Symptome einer AVWS können von Kind zu Kind unterschiedlich sein, zum Beispiel kann das Unterscheiden ähnlich klingender Wörter wie Kanne-Tanne schwerfallen oder das Herausfiltern von Sprache aus einer lauten Umgebung.

Weitere Informationen zur Diagnostik und Therapie einer AVWS findest du bei der Logopädischen Praxis Bona Lingua.

Corrective Feedback

Das corrective Feedback (auch: korrigierende Rückmeldung) ist eine Methode zur Sprachförderung, ohne Kinder direkt auf Sprachfehler hinzuweisen.

Corrective Feedback gehört zu den natürlichen Sprachförderstrategien. Viele Erwachsene wenden diese Strategie intuitiv an, wenn sie mit einem Kleinkind oder Vorschulkind sprechen.

Beispiel: Ein zweijähriges Kind sagt: „Solade!“ und der Vater antwortet mit: „Du willst ein Stück Schokolade?“ Der Vater baut in seiner Antwort den Einwortsatz des Kindes in einen vollständigen Satz ein und korrigiert nebenbei die Aussprache.

Weitere Beispiele für das corrective Feedback und typische Fehler beim Anwenden der Methode findest du in meinem Blogartikel „Was ist corrective Feedback und wie kannst du es zur Sprachförderung einsetzen?“

Dysgrammatismus

Dyslalie / Multiple Dyslalie

Die Dyslalie ist ein veraltetes Wort für Aussprachestörungen.

Der Begriff wird inzwischen nicht mehr häufig verwendet, da er nicht zwischen den verschiedenen Formen von Aussprachestörungen unterscheidet, sondern nur die Menge der Lautfehlbildungen (partielle Dyslalie = einen Laut betreffend / multiple Dyslalie = mehrere Laute betreffend).

Gestaltbasierte Sprachentwicklung

Die gestaltbasierte Sprachentwicklung ist eine Art des Spracherwerbs, bei der Kinder Sprache zunächst in größeren Einheiten (Gestalten) lernen, anstatt einzelne Wörter isoliert zu erwerben. Häufig werden Äußerungen als Gestalt gespeichert, die Kinder immer wieder gehört haben, zum Beispiel als Zeilen aus Liedern oder Serien.

Im Laufe der Zeit beginnen Kinder mit einer gestaltbasierten Sprachentwicklung, Gestalten miteinander zu kombinieren, in kleinere Bausteine zu zerlegen und die einzelnen Wörter zu verstehen und neu zu kombinieren.

Häufig nutzen Kinder aus dem Autismus-Spektrum den gestaltbasierten statt des bekannteren analytischen Sprachentwicklungsstils.

Mehr zur gestaltbasierten Sprachentwicklung findest du in meinem Interview mit der Sprachtherapeutin Lisa Klaar, die sich auf die Sprachentwicklung bei Autismus spezialisiert hat.

Gotischer Gaumen

Der gotische Gaumen bezeichnet eine ungewöhnlich hohe und schmale Form des harten Gaumens im Mund. Ein gotischer Gaumen kann durch eine myofunktionelle Störung mit falscher Zungenruhelage oder auch durch Angewohnheiten wie Daumenlutschen und langer Schnullergebrauch verursacht werden.

Ein gotischer Gaumen kann unter anderem zu Zahnfehlstellungen führen, da für die bleibenden Zähne zu wenig Platz im Kiefer vorhanden ist. Auch die Nasenatmung ist bei einem gotischen Gaumen oft erschwert. In solchen Fällen kann eine Behandlung durch Logopädie und Kieferorthopädie notwendig sein.

Auswirkungen von Mundatmung auf den Gaumen, so dass ein gotischer Gaumen entsteht
Ein Blick in den Kindermund: Der gotische Gaumen ist hier durch langen Schnullergebrauch entstanden. Foto: Citypraxis Wien

Kindliche Dysarthrie

Die kindliche Dysarthrie ist eine Sprechstörung, die bei Kindern mit einer neurologischen Grunderkrankung auftreten kann, zum Beispiel einer infantilen Cerebralparese, einem Schädel-Hirn-Trauma oder einem frühen Schlaganfall vor, während oder nach der Geburt.

Die Symptome einer Dysarthrie bei Kindern sind unterschiedlich: Manche Kinder zeigen Einschränkungen in der Sprechatmung, Betonung oder Sprechlautstärke. Schwerer betroffene Kinder haben

Kindliche Dysarthrien nicht selten: In Deutschland leben ca. 50.000 Kinder mit einer Dysarthrie.

Late Bloomer

Als Late Bloomer werden ehemalige Late Talker bezeichnet, die die Verzögerung der sprachlichen Entwicklung bis zum dritten Geburtstag vollständig aufgeholt haben.

Late Talker

Ein Kind wird Late Talker (Spätsprecher) genannt, wenn es mit 24 Monaten weniger als 50 Wörter spricht und noch keine Zweiwortsätze bildet. Diese Kinder haben normale kognitive und soziale Fähigkeiten, zeigen aber eine Verzögerung in der sprachlichen Entwicklung.

Der Begriff „Late Talker“ ist keine Diagnose, sondern ein Hinweis, genauer auf die Sprachentwicklung des Kindes zu achten. Denn über 50% aller Late Talker holt die Sprachentwicklung bis zum 3. Geburtstag nicht von alleine vollständig auf. Late Talking gilt somit als mögliches frühes Symptom einer Sprachentwicklungsstörung.

Multiple Interdentalität

Bei einer multiplen Interdentalität wird nicht nur der Laut /s/, sondern es werden auch die Laute /l, n, d, und t/ mit der Zunge zwischen den Zähnen (interdental) gebildet.

Myofunktionelle Störung (MFS)

Bei einer Myofunktionellen Störung (MFS) ist die Funktion der Muskeln im Bereich von Mund und Zunge und oft auch die Wahrnehmung im und am Mund auffällig. 

Typische Symptome einer myofunktionellen Störung sind:

  • Offene Mundhaltung
  • Mundatmung
  • Falsche Zungenruhelage: Die Zunge liegt unten im Mund und nicht oben am Gaumen.
  • Schlucken mit der Zunge gegen die Zähne statt nach oben gegen den Gaumen

Dadurch können Zahnfehlstellungen und ein zu schmaler Kiefer entstehen. Bei manchen Kindern entwickelt sich durch die myofunktionelle Störung auch ein Lispeln (Sigmatismus) oder insgesamt eine undeutliche Artikulation.

Alternative Begriffe sind: Orofaciale Dysfunktion (OFD), Orofaciale myofunktionelle Störung (OMS)

Die logopädische Therapie einer myofunktionellen Störung wird myofunktionelle Therapie genannt.

In meinem Artikel „Was ist eine „myofunktionelle Störung?“ erfährst du, welche Ursachen eine MFS haben kann und was du zu Hause tun kannst, um dein Kind bei einer gesunden Mundentwicklung zu unterstützen.

Phonetische Störung

Kinder mit einer phonetischen Störung können bestimmte Laute nicht altersgerecht korrekt bilden. Im Deutschen betrifft dies vor allem den Laut /s/ (Sigmatismus) und manchmal auch den Laut /sch/ (lateraler Schetismus), seltener mehrere Laute (multiple Interdentalität). Häufig treten phonetische Störungen in Verbindung mir orofacialen myofunktionellen Störungen auf.

Phonologische Bewusstheit

Phonologische Bewusstheit bedeutet, dass Kindern bewusst ist: Sprache hat nicht nur eine inhaltliche Bedeutung, sondern auch eine äußere Form. So wissen Kindern mit gut entwickelter phonologischer Bewusstheit zum Beispiel, dass sich Wörter in Silben und einzelne Laute zerlegen lassen, dass sich manche Wörter reimen und sich einzelne Laute zu Silben und Wörtern zusammenziehen lassen.

Phonologische Bewusstheit gilt als eine der wichtigsten Fähigkeiten von Erstklässlern, um erfolgreich lesen und schreiben zu lernen. Sie bildet sich aber meist nicht nebenbei aus, sondern durch gezielte Förderung im Vorschulalter.

Viele Ideen zur Förderung der phonologischen Bewusstheit findest du in meinem Artikel „Was ist phonologische Bewusstheit und wie kann sie gefördert werden?“.

Phonologische Prozesse

Wenn ein Kind einen Laut noch nicht sprechen kann, dann lässt es diesen weg oder ersetzt ihn mit einem anderen Laut. Diese Lautersetzungen oder -auslassungen werden phonologische Prozesse genannt.

Dabei folgen phonologische Prozesse bestimmten Regeln, das heißt: Fast alle Kinder ersetzen Laute am Anfang der Sprachentwicklung auf eine bestimmte Art und Weise.

Hier sind einige typische phonologische Prozesse, die bei fast allen Kleinkinder auftreten:

  • Das /r/ wird mit /h/ oder /l/ ersetzt.
  • Das /k/ wird mit /t/ ersetzt.
  • Das /g/ wird mit /d/ ersetzt.
  • Einige Konsonantenverbindungen werden vereinfacht (z.B. „Bume“ statt Blume)
  • Das /sch/ und /ch/ werden durch /s/ ersetzt.

Phonologische Störung

Bei einer phonologischen Störung zeigen Kinder im Unterschied zur phonologischen Verzögerung untypische Aussprachefehler, also Lautersetzungen oder -auslassungen, die nicht typisch für jüngere Kinder sind.

Diese untypischen Aussprachefehler werden auch als pathologische phonologische Prozesse bezeichnet.

Beispiele für eine phonologische Störung:

  • Rückverlagerung: Die Laute /t, d, n/ werden mit /k, g, ng/ ersetzt (z. B. „Konen“ statt Tonne).
  • Plosivierung: Die Frikative /f, w, sch, ch, s/ werden durch Plosive /k, g, t, d, p, b/ ersetzt (z. B. „Peuer“ statt Feuer).

Weitere Informationen zur phonologischen Störung und der passenden Therapie bekommst du in meinem Blogartikel „Was ist eine phonologische Störung?“.

Phonologische Verzögerung

Wenn ein älteres Kind Wörter noch so ausspricht wie ein jüngeres Kind, wird diese Sprachauffälligkeit Phonologische Verzögerung genannt. 

Ein Kind mit einer rein phonologischen Verzögerung kann einen bestimmten Laut eigentlich aussprechen. Das heißt: Die Sprechmotorik ist nicht gestört. Das Problem liegt in der falschen Analyse und Speicherung des Lautes.

Rhotazismus

Rhotazismus ist ein alter Begriff für die Störung der Aussprache des Lautes /r/. Meist wird das /r/ durch ein /h/ oder /l/ ersetzt: Das Wort „Rose“ wird also zu „Hose“ oder „Lose“. Im Alter von ca. 3 1/2 Jahren können mehr als 90% den Laut „r“ richtig aussprechen.

Schetismus

Selektiver Mutismus

Selektiver Mutismus ist eine Angststörung, bei der die Person in bestimmten Situationen oder gegenüber bestimmten Menschen nicht spricht, obwohl sie sprechen kann. Zum Beispiel sprechen viele selektiv mutistische Kinder zu Hause mit ihrer Familie, aber nicht im Kindergarten.

Kamala Kiby, die selbst als Kind selektiv mutistisch gewesen ist, beschreibt Mutismus so: „Für Außenstehende ist das oft schwer zu verstehen. Sie denken: Du kannst doch sprechen, warum tust du es nicht? Doch du kannst dir das so vorstellen: Du stehst auf einer 100 Meter hohen Brücke, mit Höhenangst, bist angeseilt und jemand sagt: Spring, du hast doch Sprunggelenke. Dein Körper wird blockieren und nicht springen.“ Zum Interview mit Kamala Kiby kommst du hier.

Sigmatismus

Als Sigmatismus werden Artikulationsfehler des Lautes /s/ bezeichnet.

Der Sigmatismus ist die häufigste Artikulationsstörung und wird umgangssprachlich auch Lispeln genannt. Ungefähr 35% aller fünfjährigen Kinder lispeln.

Es gibt mehrere Formen des Sigmatismus. Die zwei häufigsten Formen: Die Zunge gerät bei der Bildung des /s/ zwischen die Zähne (interdentaler Sigmatismus) oder stößt an die Zähne (addentaler Sigmatismus). Weitere Informationen findest du in meinem Blogartikel: Sigmatismus – Warum Kinder lispeln und ab wann du handeln solltest.

Sigmatismus bei Kindern
Sigmatismus interdentalis: Die Zunge befindet sich beim Sprechen des Lautes /s/ zwischen den Zähnen.

Sprachentwicklungsstörung

Stottern

Unterstützte Kommunikation

Verbale Entwicklungsdyspraxie (VED)

Zungenruhelage

Die Zungenruhelage beschreibt die Position der Zunge, wenn nicht gegessen, getrunken oder gesprochen wird.

Dann befindet sich die Zunge bei korrekter Lage oben am Gaumen (physiologische Zungenruhelage). Die Zungenspitze ist kurz hinter den Schneidezähnen, der Zungenmittelkörper schmiegt sich an den Gaumen an.

Nasenatmung Zeichnung Anatomisch richtige Zungenruhelage
Die physiologische Zungenruhelage: Die Zunge schmiegt sich an den oberen Gaumen an, die Lippen sind sanft geschlossen, die Atmung erfolgt über die Nase.

Bei einer myofunktionellen Störung und Mundatmung ist auch die Zungenruhelage betroffen: Die Zunge liegt dann meist unten am Mundboden, manchmal befindet sich auch die Zungenspitze zwischen den Schneidezähnen.

Eine falsche Zungenruhelage kann verschiedene negative Auswirkungen unter anderem auf das Kieferwachstum haben, denn die Zunge formt bei Kindern über die Zungenruhelage den oberen Gaumen. Bei dauerhaft falscher Zungenruhelage wächst dieser jedoch schmal und hoch statt breit (Gotischer Gaumen).

Zweiwortsätze

Zweiwortsätze sind Sätze, die aus zwei Wörtern bestehen und in der frühen Sprachentwicklung von Kindern auftauchen, oft im Alter von etwa 18 bis 24 Monaten.

Meist beginnen Kinder mit einem Wortschatz von etwa 50 Wörtern, erste Wörter zu kombinieren.

Das Bilden von Zweiwortsätzen ist ein wichtigen Meilenstein in der Sprachentwicklung: Ihr Auftauchen zeigt, dass ein Kind zu verstehen beginnt, wie es Sätze aus Wörtern zusammenbauen kann.

Beispiele für Zweiwortsätze sind:

  • auch hab’n!
  • Mama Arm!
  • Papa da!

Ein Kind, das zum 2. Geburtstag noch keine Zweiwortsätze bildet, wird als Late Talker bezeichnet.

1 Kommentar zu „Logopädie-Lexikon: Logopädische Fachbegriffe einfach erklärt“

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Wiebke Schomaker Logopädin

Hallo, hier schreibt Wiebke!

Ich bin Logopädin, Autorin dieses Blogs und Mutter von drei Kindern. Hier findest du Infos zur Sprachentwicklung und Tipps, wie du dein Kind beim Sprechenlernen kompetent und spielerisch begleiten kannst.

Viel Spaß beim Lesen! 🤩

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